Die Zeit ist reif für progressive CFOs, die Chancen statt Risiken sehen

Mit einem wachsenden Arsenal an KI, Cloud-Analysen und Prozessautomatisierung übernehmen CFOs zunehmend die Rolle des Chief Executive. Finanzchefs können ihre Tätigkeiten jedoch auf ethische Weise konsolidieren, indem sie die Weiterqualifizierung in den Vordergrund stellen und sich für Inklusion einsetzen.

Von Oliver Pickup, preisgekrönter Autor, Pickup Media

 

Die Zeit ist reif für progressive CFOs, die Chancen statt Risiken sehen

Der rasante Aufstieg von Murray Auchincloss von BP ist ein Beispiel für die steile Karriere moderner Finanzchefs, die mit Zahlen umgehen können und anders als ihre Vorgängerinnen und Vorgänger ein strategisch geprägtes und zunehmend visionäres Mindset mitbringen. 

„Finanzvordenker“ sind Pioniere im Finanzwesen. Sie zeichnen sich nicht nur, wie zu erwarten, durch ihren analytischen Verstand aus, sondern sind auch versiert im Umgang mit Technologie und Daten. Vor allem aber sehen sie nicht nur die Risiken, sondern vor allem die Chancen. Kein Wunder, dass solche klugen, vielseitigen Leistungsträger bei Vorständen, Mitarbeitenden und Kunden gleichermaßen beliebt sind – gerade in diesen unsicheren Zeiten.

Auchincloss, der im Juli 2020 zum CFO von BP ernannt wurde, musste sich von heute auf morgen in einer Führungsposition zurechtfinden. So berichtete der ehemalige Tax Analyst aus Kanada Freunden, er habe nach dem abrupten Rücktritt von Bernard Looney nur 20 Minuten Zeit gehabt, sich auf seine neue Rolle als Interims-CEO vorzubereiten. Dennoch überraschte es kaum jemanden, als er im Januar dauerhaft in dieser Position bestätigt wurde.

„Er besitzt die Fähigkeit, jede Frage nach Zahlen mit Daten zu beantworten, ohne auszuweichen, ohne politisch zu werden“, erklärte Oswald Clint, Analyst für Öl und Gas bei Bernstein Research, im Gespräch mit der Financial Times. „Nicht jeder CFO ist dazu in der Lage.“

Der Aufstieg von Auchincloss bei BP lässt sich im Kontext eines allgemeinen Trends betrachten: Laut Untersuchungen des Führungskräfte-Vermittlungsspezialisten Russell Reynolds Associates (RRA) wechselten im vergangenen Jahr 24 % der scheidenden CFOs aus dem S&P 500 in die Rolle des CEO oder President. 2021 waren es nur 8,8 %. Dieser starke Anstieg zeigt, dass die Finanzchefs die Unternehmensstrategie zunehmend mehr im Griff haben und dass sie immer besser in der Lage sind, disruptive Entwicklungen auch längerfristig zu meistern.

„In den letzten 18 bis 24 Monaten haben wir einen signifikanten Wandel erlebt: An die Stelle von CFOs mit Kapitalmarktexpertise treten solche mit starker operativer Ausrichtung“, berichtet Jenna Fisher, Managing Director und Head of the CFO Practice bei RRA, gegenüber Fortune.

„In den letzten 18 bis 24 Monaten haben wir einen signifikanten Wandel erlebt: An die Stelle von CFOs mit Kapitalmarktexpertise treten solche mit starker operativer Ausrichtung“. 

 

Jenna Fischer Managing Director und Head of CFO Practice bei RRA

Vorausschauende CFOs gewinnen Einblicke in Unternehmensdaten, die anderen Führungskräften verborgen bleiben, da sie in der Lage sind, Bedrohungen umfassender zu untersuchen und die Daten in hochmoderne Analysesysteme einzuspeisen. Durch die frühzeitige Anwendung von Prozessautomatisierung (RPA), Optimierung künstlicher Intelligenz (KI) und Cloud-Analysen unterscheiden sie sich von Nachzüglern in diesem Bereich. Dies versetzt sie in die Lage, ihre Unternehmen inmitten komplexer Umstände agiler zu machen.

CFOs vertiefen ihre technologischen Kenntnisse

Da das Finanzteam mit allen Geschäftsbereichen interagiert, haben Finanzchefs einen besonders guten Überblick über die Datenströme und die digitale Infrastruktur des Unternehmens. Durch diese privilegierte Position sind technisch versierte CFOs in der Lage, die Kernprozesse mithilfe von RPA und KI zu beschleunigen, die Reportingzyklen zum Periodenende zu verkürzen, geschäftskritische Agilität und Innovation zu fördern und strategische Fragen voranzutreiben.

In einem kürzlich von Workday gehosteten Webinar mit dem Titel „Vom Zahlenjongleur zum Wertschöpfer“ stellte Scott Schwaitzberg, Associate Partner in der New Yorker Niederlassung von McKinsey & Company, fest, dass der Aufgabenbereich von CFOs gewachsen ist. So wird von ihnen erwartet, sich auch in Fachbereichen auszukennen, die früher nicht von den Finanzchefs gemanagt wurden. 

„Wir sehen, dass CFOs neben den eher traditionellen Bereichen wie Budget, Risiko, Planung auch im digitalen Bereich eine viel größere Rolle spielen“, erläuterte er. „Sie haben mehr Aufgabenbereiche als je zuvor, aber der Grundsatz, dass ein CFO für die Wertschöpfung verantwortlich ist, hat sich nicht geändert.“

„Wir sehen, dass CFOs neben den eher traditionellen Bereichen wie Budget, Risiko, Planung auch im digitalen Bereich eine viel größere Rolle spielen“.

 

Scott Schwaitzberg Associate Partner bei McKinsey & Company

Anstelle von Excel-Folien mit statischen Daten präsentieren progressive CFOs nun Datenvisualisierungen in Echtzeit. Auf diese Weise haben sie den Grundstein dafür gelegt, die Datenkompetenz in allen Betriebsbereichen zu demokratisieren und die Stakeholder in die Lage zu versetzen, bei wirtschaftlichen Schwankungen schnell den Kurs zu korrigieren.

Ebenso können versierte Finanzfachkräfte Verzerrungen vermeiden, die einem Mangel an Datenaktualität geschuldet sind, indem sie interne Datenquellen um alternative Lösungen von Drittanbietern erweitern. Team Car Care, ein Franchiseunternehmen von Jiffy Lube und Kunde von Workday, ergänzt beispielsweise die Finanzkennzahlen durch aktuelle Wetterberichte zur Optimierung der Personaleinsatz- und Bestandsplanung. Durch Feinjustierung der Umsatzprognosen wird die Rentabilität der einzelnen Standorte maximiert, während zur Anpassung des Personalbestands Daten zu aufziehenden Krisen in den ökonometrischen Modellen des Unternehmens Berücksichtigung finden.

Neue Leadership-Modelle

Der Sprung vom Buchhalter zum Geschäftsführer mag für eine Funktion, deren Hauptaufgabe noch bis vor Kurzem die Finanzverwaltung war, auf den ersten Blick wie eine kaum zu bewältigende Herausforderung wirken. Doch tatsächlich spiegelt der aktuelle Trend eine Verschiebung in der Zusammensetzung des Führungsteams wider, wie sie für Zeiten eines tiefgreifenden technologischen Wandels typisch ist.

So wurde Donaldson Brown 1924, drei Jahre nach seinem Einstieg ins Unternehmen als Treasurer, in das Board of Governors von General Motors berufen. Dies geschah zu seiner Zeit, als die Massenproduktion von Automobilen den Verkehr, den Handel und die Mobilität völlig neu definierte.

Ein Jahrzehnt zuvor hatte der Amerikaner die als „DuPont-Formel“ bekannte Kapitalrendite (ROI) entwickelt. Damals galt die ROI-Methode zur Bewertung der Effizienz von Geschäftsprozessen als revolutionär. Browns Finanzprinzipien – seine Fokussierung auf den ROI und sein dezentrales Management-System – wurden zur Grundlage der Finanzpraktiken der modernen Geschäftswelt. Seine innovative Herangehensweise an betriebswirtschaftliche Analysen und Managementpraktiken prägt noch immer unser Verständnis der Geschäftsführung, bei der die Bedeutung der Finanzkennzahlen bei strategischen Entscheidungen im Vordergrund steht.

Ein Jahrhundert später entstehen durch KI und Cloud-Analysen erneut Wettbewerbsvorteile, die für eine nie gekannte Dynamik sorgen. Die Komplexität der Daten verstärkt die wirtschaftliche Unsicherheit. Vor diesem Hintergrund unterstützen und fördern Vorstände eine neue Generation von technologisch versierten, auf Chancen fixierten Finanzchefs, denen die Aufgabe zuteil wird, die betriebliche Agilität zu erhöhen.

Die Vorliebe moderner Board-Mitglieder für CFOs mit technologischen Fachkenntnissen dürfte niemanden überraschen, unterstreicht sie doch den Ruf nach einer risikobereiten und visionären Führung in einem schwierigen makroökonomischen Umfeld. 

Inzwischen werden Datenmengen, die für herkömmliche Analysen zu umfangreich sind, von Algorithmen verarbeitet. In diesem Umfeld versprechen Führungskräfte, die finanzielle und technologische Fachkenntnisse vereinen, optimale Entscheidungen durch prädiktive Einblicke. Cleveren CFOs, die KI mit einem Kulturwandel verbinden, statt überstürzt Personal abzubauen, kann es gelingen, die Betriebsmodelle im Einklang mit dem beispiellosen Tempo des Wandels zum Positiven zu verändern.

Allerdings führt die Technologie zu neuen Leadership-Konventionen. Darum sollten CFOs darauf achten, dass sie Mitarbeiter, die nicht an durch Automatisierung gestützte Hierarchien gewöhnt sind, nicht verprellen. Diese Geschäftsführer in spe müssen den psychologischen Vertrag zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber achten, um dauerhafte Autorität zu erlangen und neues Vertrauen zu schaffen.

Förderung einer Kultur der Weiterqualifizierung

Unter dem Thema „Rebuilding Trust“ stand auch die Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums im Januar. In diesem Bereich müssen CFOs und andere Mitglieder der Führungsetage Verbesserungen anstreben. Laut dem Edelman Trust Barometer 2024 vertrauen nur 61 % der über 32.000 Befragten weltweit darauf, dass Führungskräfte offen sprechen. Damit wird ihnen noch weniger Glauben geschenkt als einem Regierungschef (-2 %). Hoch bezahlte CEOs mit einer steilen Karriere im Finanzwesen könnten diese Kluft noch vergrößern. Dies gilt insbesondere dann, wenn die neuen Chefs die Finanzziele über die Unternehmenskultur stellen und damit das gegenseitige Verständnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern beschädigen. 

Darüber hinaus können CEOs, die aus dem Finanzbereich kommen, übermäßige Führungsgehälter begrenzen, um die Vertrauensbasis zwischen Management und Belegschaft zu stärken. Hier lohnt die Betrachtung einer Studie des britischen High Pay Centre von Anfang Januar, die zeigt, dass das durchschnittliche Gehalt eines CEOs in einem FTSE 100-Unternehmen (ohne Renten) derzeit bei 3,81 Millionen GBP liegt – das 109-fache dessen, was ein Vollzeitbeschäftigter durchschnittlich verdient (34.963 GBP), und ein Anstieg von 10 % seit letztem März.

Trotz sich aufhellender wirtschaftlicher Aussichten müssen CFOs erkennen, dass die Verbesserung der unternehmensweiten Zusammenarbeit und die Pflege der Unternehmenskultur langfristig ihren Einfluss nachhaltiger festigt als die Fixierung auf kurzfristige Gewinne und den persönlichen Kontostand.

„Bei der Entwicklung der Führungsqualitäten setzt sich als neuer Trend die verantwortungsvolle Verwaltung durch: ein Verständnis dafür, dass der Erfolg eines Unternehmens letztendlich davon abhängt, ob es den Führungskräften gelingt, das Unternehmen so aufzustellen, dass es über ihre Amtszeit als CEO oder CFO hinaus erfolgreich ist“, so Sasha Young, Entwicklungscoach für Führungskräfte in Finanzmärkten. „Die entscheidende Frage für progressive CFOs lautet: ‚Wie kann ich mein Unternehmen in betriebswirtschaftlicher und kultureller Hinsicht so hinterlassen, dass es für die Zukunft möglichst gut gerüstet ist?‘“

„Bei der Entwicklung der Führungsqualitäten setzt sich als neuer Trend die verantwortungsvolle Verwaltung durch: ein Verständnis dafür, dass der Erfolg eines Unternehmens letztendlich davon abhängt, ob es den Führungskräften gelingt, das Unternehmen so aufzustellen, dass es über ihre Amtszeit als CEO oder CFO hinaus erfolgreich ist.“ 

 

Sasha Young Entwicklungscoach für Führungskräfte in den Finanzmärkten

Um ihrer Autorität ethisch betrachtet Nachdruck zu verleihen, sollten progressive CFOs Initiativen zur Weiterqualifizierung in den Mittelpunkt stellen, die die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf allen Ebenen auf KI, Quanten-Computing und andere neue Technologien vorbereiten.

Proaktive Finanzführungskräfte können ihre Belegschaft mithilfe verantwortungsvoller KI-Techniken kontinuierlich weiterbilden, um zu verhindern, dass sich Kompetenzlücken durch die zunehmende Automatisierung vergrößern. Die globale Studie Die KI-Vertrauenslücke schließen, die von Workday Anfang dieses Jahres veröffentlicht wurde, beschäftigt sich mit der Frage, wie man die KI-Vertrauenslücke schließen kann. Darin wird beispielsweise die Symbiose zwischen prädiktiven Technologien und menschlichen Fachkräften hervorgehoben. 

Die Studie zeigt, dass zwar 62 % der Führungskräfte, aber nur 52 % der Mitarbeiter die Einführung von KI begrüßen. Auch befürworten 70 % der Führungskräfte eine Prüfung der KI-Ergebnisse durch den Menschen. 42 % der Mitarbeiter beklagen jedoch, dass es in ihrem Unternehmen keine klaren Richtlinien dazu gibt, welche Lösungen vollständig automatisiert werden sollten und bei welchen ein menschliches Eingreifen unerlässlich ist.

„Die Tools, Technologien und Daten, die den Führungskräften zur Verfügung stehen, entwickeln sich in rasantem Tempo weiter. Vor diesem Hintergrund wird ein vertrauensvoller Dialog zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden auch in Zukunft entscheidend für den Erfolg des Unternehmens sein“, so Young weiter. 

„Progressive CFOs, denen es gelingt, diese kulturelle Dynamik aufzugreifen und gleichzeitig ihr finanzielles, operatives und strategisches Wissen auf Vorstandsebene einzubringen, können sich als echte Leadership-Vorbilder von heute und morgen einen Namen machen.“

Veröffentlicht in:  smartCFO Magazin, Vol 04

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