Denken wie ein Superforecaster. Drei Prämissen für genauere Prognosen

In unsicheren Zeiten ist die Fähigkeit, treffsichere Prognosen aufzustellen, für Unternehmen entscheidend. Um bessere Vorhersagen zu treffen, sollten sie verschiedene Perspektiven einbeziehen, Prognosen systematisch dokumentieren und kontraintuitives Denken (Counterfactual Thinking) anwenden.

In diesen unsicheren Zeiten zu navigieren, verlangt von Unternehmern sowie Managern und Managerinnen eine wichtige Fähigkeit: gute Prognosen aufzustellen. Ob geopolitische Krisen, Lieferkettengesetz oder Talentsuche – allzu oft haben Unternehmen in den letzten Jahren vor einer anderen Zukunft gestanden als der, auf die sie ihre Planung aufgebaut haben. Diese Fehleinschätzungen gingen auf Kosten der Agilität.

Aber warum helfen traditionelle Ansätze in der Planung oft nicht weiter? Wie kommt es, dass teuer bezahlte Expertise auch danebenliegen kann? Und wie können Prognosen besser gelingen? Philip Tetlock, ein Psychologieprofessor aus Pennsylvania, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Prognosequalität von Experten. Er stellte fest, dass die Vorhersagen etwa von Universitäten oder Thinktanks nicht gerade genau sind. Börsen-Prognosen von Wallstreet-Kennern etwa waren teilweise so gut oder schlecht wie die Zufallstreffer eines Affen, der Dart spielte.

Im mehrjährigen Good Judgment Project suchten Tetlock und seine Kollegen in Kooperation mit dem Forschungsinstitut IARPA (Intelligence Advanced Research Projects Activity) seit 2011 nach Methoden, um treffsicherere Geheimdienstprognosen aufzustellen. Man wollte verlässlicher als bisher wissen, ob ein Staatsstreich eine bestimmte Region destabilisieren könnte und wie hoch die Erfolgschancen der eigenen Aktivitäten waren.

“Superforecaster sind erstaunlich konstant über dem Durchschnitt liegende Vorhersager und Vorhersagerinnen”

Bruno Jahn

In einem jahrelangen Verfahren konnte das Good Judgment Project schließlich herausarbeiten, wie die besten Vorhersagen zustande kommen. Damit war der Superforecaster geboren. Superforecaster sind „erstaunlich konstant über dem Durchschnitt liegende Vorhersager und Vorhersagerinnen“, sagt Bruno Jahn. Er ist selbst einer von ihnen und auch Teilnehmer des Good Judgement Projects. Auf dem Event „Agile planning in challenging times”, dass Kainos und Workday  gemeinsam im Soho House in Berlin organisierten, gab er eine Keynote.

Kernerkenntnis des Projektes war, dass Prognostiker für genauere Vorhersagen anders denken müssen, als sie das bisher oft getan haben. In seiner Arbeit stellte Tetlock immer wieder fest, dass Expertentum nicht gerade ein Garant für akkurate Vorhersagen ist. Tatsächlich ist die Fähigkeit eines Individuums, seinen eigenen Wissensstand kritisch zu hinterfragen, eine der Hauptprämissen.

Auch Ihr Unternehmen kann diese Prämissen anwenden, um die Prognosequalität zu verbessern und agil zu planen. Dafür haben wir uns von Bruno Jahn ein paar Tipps geben lassen.

Prämisse 1: Es braucht viele gleichberechtigte Perspektive

Um eine gute Vorhersage abgeben zu können, braucht es den Input vieler verschiedener Experten und Expertinnen. Wer im Alleingang vorhersagen will, was in Zukunft passieren kann, ist meistens vom eigenen Wissen sowie eigenen Erfahrungen und Interpretationen limitiert. Wichtig ist, viele Menschen an einen Tisch zu bringen und jeden Input gleichberechtigt aufzunehmen und zu validieren. Denn in Gruppen setzen sich oft jene durch, die sich ihrer Sache am sichersten sind. Selbstbewusstsein ist aber nicht immer ein Spiegel von Kompetenz. Die Gefahr besteht, dass die Meinungen und Entscheidungen der Gruppe von ihrem am sichersten auftretenden Mitglied beeinflusst werden, anstatt von denen, die tatsächlich die besten Kenntnisse und Fähigkeiten haben.

Tipp: Ein Weg, dies zu vermeiden, ist, den eigenen Wissensstand zu reflektieren, offen zu sein, dass man nicht alles weiß und ein breites Intervall für die Vorhersage zu wählen. Auf diese Weise können Sie sicherstellen, dass die Meinungen und Entscheidungen der Gruppe auf den bestmöglichen Informationen basieren und nicht auf einer Person.

“Wichtig ist, viele Menschen an einen Tisch zu bringen und jeden Input gleichberechtigt aufzunehmen und zu validieren.”

Prämisse 2: Was du gestern gesagt hast, glaubst du morgen nicht mehr

„Um bessere Prognosen aufzustellen, empfehle ich als erstes, die eigenen Vorhersagen aufzuzeichnen“, sagt Jahn. Das ist deswegen so wichtig, weil der Mensch dazu neigt, sich im Nachhinein immer in ein besseres Licht zu setzen. Der Hindsight-Bias beschreibt das Phänomen, dass wir Fehler in der Vergangenheit gar nicht als solche realisieren. Wer aber im Planungsprozess bestimmte Prognosen dokumentiert und sie später mit dem tatsächlichen Ergebnis abgleicht, kann Leerstellen finden und aus Fehleinschätzungen lernen.

Prämisse 3: Was wäre, wenn?

Eine weitere Methode der Superforecaster nennt sich Counterfactual Thinking. Dabei versuchen die Vorhersager durch gezielte, kontraintuitive Fragestellungen blinde Flecken innerhalb einer Projektplanung oder Finanzprognose aufzuzeigen. So fragen sie zum Beispiel:

„Was hätte passieren müssen oder können, damit das Ergebnis anders ausgefallen wäre?“

Oder: „Was muss passieren, damit meine Aussage nicht wahr ist?“

Tipp: Führen Sie ein Pre-Mortem in Ihre Planungsprozesse ein. Stellen Sie sich vor, dass ein Projekt bereits gescheitert ist oder sich eine Vorhersage als unwahr herausgestellt hat. Dann können Sie und Ihr Team untersuchen, woran das gelegen haben könnte.

Das bedeutet nicht, dass Sie sich nur an Projekte mit großen Erfolgsaussichten wagen sollten. Dann wären die meisten erfolgreichen Unternehmen nie gegründet und die meisten Fortschritte nie erzielt worden. Aber eine bessere Entscheidungsgrundlage vermitteln Ihnen die genannten Techniken allemal.

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