Wie es Banken mithilfe von KI und ML gelingt, die Belegschaft der nächsten Generation aufzubauen

Künstliche Intelligenz und Machine Learning können Mitarbeiterdaten in einen Vorteil bei der Talentakquise verwandeln. Die Technologien unterstützen Unternehmen in strategischer Hinsicht, indem sie die Neueinstellung geeigneter Kräfte optimieren und die Entwicklung einer leistungsstärkeren Belegschaft fördern.

Viele Finanzinstitute sehen sich aus zwei Richtungen mit dem Thema Talentknappheit konfrontiert: So herrscht einerseits ein intensiver Wettbewerb um gefragte technische Talente wie Softwareentwickler und IT-Fachkräfte, andererseits erreicht eine Vielzahl von Mitarbeitenden aus der Generation der Babyboomer in den nächsten Jahren das Rentenalter. 

Gemeinsam kündigen diese beiden Trends einen Personalmangel für die Branche an. Tatsächlich steht dem Finanz- und Dienstleistungssektor laut einer globalen Studie von Korn Ferry bis 2030 der größte Arbeitskräftemangel unter allen Branchen bevor.

Wenn erfahrene Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, nehmen sie jahrzehntelanges institutionelles Wissen und Know-how mit, was zu einer wachsenden Kompetenzlücke im operativen Bereich führt. Und da immer mehr langjährige Beschäftigte in den Ruhestand gehen, wächst der Druck, eine Nachfolge für die entsprechenden Stellen zu finden. 

Banken fällt es schwer, junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Generation Z anzusprechen und für das Unternehmen zu gewinnen. Diese dürften 2025 jedoch bereits 27 % der Arbeitnehmerschaft ausmachen. Einer Umfrage von EY zufolge können jüngere Mitarbeiter einen wertvollen Beitrag leisten, stehen dem Bankensektor jedoch skeptisch gegenüber. Zur Anwerbung der geeigneten Fachkräfte müssen Banken die Mitarbeitererfahrung modernisieren. Das schließt auch Stellenprofile und Weiterbildungsmodelle mit ein.

Bis 2030 werden 150 Millionen Arbeitsplätze durch Personen im Alter ab 55 Jahren aufwärts besetzt sein.

Der technologische Wandel schreitet immer schneller voran. Skalierbares Wachstum und Kundenbindung werden daher laut Nicole Carrillo, Managing Director, Financial Services Industry bei Workday für die Banken zur essenziellen Voraussetzung, um die notwendigen Fachkräfte zu gewinnen und im Unternehmen zu halten. „Ohne geeignete Talenten, die diese neuen Technologien effektiv nutzen können, wird es den Banken schlichtweg nicht gelingen, den Wandel im gewünschten Tempo voranzutreiben“, so Carrillo.

Allerdings ist es nicht damit getan, einfach die Personalbeschaffung hochzufahren und zu hoffen, dass jede Stelle besetzt werden kann. Carrillo ist der Ansicht, dass Banken bei der Personalentwicklung einen ganzheitlicheren Ansatz verfolgen müssen. Das bedeutet, dass sie Kompetenzlücken proaktiv ermitteln und dann mit gezielten Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen gegensteuern müssen. Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) können diese HR-Aktivitäten unterstützen. Zugleich entlasten sie das Team zugunsten strategischer Aufgaben. 

„Wenn es um KI und ML im Talentmanagement geht, bietet sich Banken jetzt die Chance, die nötigen Kapazitäten für eine höhere Wertschöpfung aufzubauen“, erklärt Carrillo. „Diese Technologien können in vielen Bereichen hilfreich sein und auf neue Weise und in völlig neuem Umfang Mehrwert schaffen. Tatsächlich wird diese Chance bereits genutzt.“

Viele Führungskräfte im Bankwesen haben dieses Potenzial offenbar erkannt. Laut der Workday-Studie KI-IQ: Trends im Bereich künstliche Intelligenz im Unternehmen ist eine überwältigende Mehrheit von ihnen (86 %) der Ansicht, dass der Einsatz von KI und ML notwendig ist, um die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens zu sichern. 

Mehr Transparenz, proaktives Talentmanagement

Der Einsatz von KI- und ML-Technologien ist für den Bankensektor nichts Neues. Die Funktionen zur schnellen Erkennung anomaler und potenziell betrügerischer Kreditkartentransaktionen beruhen beispielsweise auf ML. Auch die Chat-Popupfenster, die sich auf immer mehr Unternehmenswebsites mit „Wie kann ich Ihnen helfen?“ an die Besucher wenden, basieren auf KI.

Kundenorientierte Anreden dieser Art sind typisch für die ersten Anwendungsfälle von KI und ML im Bankensektor. Neuere Anwendungsfälle konzentrieren sich dagegen auf interne Funktionen. Hier bietet sich die Chance,die Branche entscheidend weiterzuentwickeln.

Durch die zunehmende Automatisierung manueller, repetitiver Transaktionen und Prozesse bleibt den Mitarbeitenden mehr Zeit, sich auf strategische Entscheidungen zu fokussieren. Auch HR-Führungskräfte, die Lösungen für den anhaltenden Fachkräftemangel finden müssen, profitieren von KI- und ML-gestütztem Skills-Mapping und prädiktiven Personalanalysen.

Große Datenmodelle können die Kompetenzanforderungen nach Rolle, Team und Funktion erfassen. Dies schafft laut Carrillo eine Grundlage für KI- und ML-gestützte Funktionen zur Identifizierung aktueller und zukünftiger Kompetenzlücken. So können HR-Führungskräfte wichtige Erkenntnisse gewinnen und einem Herausforderungen bei der Talentakquise proaktiv entgegenwirken.

„Diese Technologien [AI und ML] können in vielen Bereichen hilfreich sein und auf neue Weise und in völlig neuem Umfang Mehrwert schaffen.“

Nicole Carrillo Managing Director, Financial Services Industry Workday

Ein System könnte etwa auf ein erhöhtes Fluktuationsrisiko bei bestimmten Rollen und Mitarbeiterprofilen aufmerksam machen – beispielsweise bei jungen Softwareentwicklern. „Dann können Sie die Kündigungsgründe ermitteln und mehr tun, als nur Ihre Einstellungsaktivitäten zu intensivieren“, so Carrillo. „Sie können untersuchen, warum die Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, und die betroffenen Rollen und Aufgabenprofile entsprechend anpassen.“

Eine HR-Plattform mit integrierten KI- und ML-Funktionen kann darüber hinaus aktuelle Defizite identifizieren, den kurzfristigen Talentbedarf vorhersagen, die Ressourcenzuweisung optimieren und ein integratives Talentmanagement fördern. Verabschiedet sich ein Mitarbeiter beispielsweise immer früher in den Feierabend, so könnte dies ein Anzeichen einer bevorstehenden Kündigung sein. Carrillo merkt an, dass prädiktive Einblicke dieser Art das HR-Team in die Lage versetzen, Kompetenzlücken und offene Stellen zu prognostizieren, bevor daraus ernsthafte Probleme für das Unternehmen entstehen. 

„Anomalieerkennung und gezielte Vorschläge bieten hier den entscheidenden Mehrwert“, so Carrillo. „Prädiktive Analysen auf KI- und ML-Basis können kurzfristige Personalereignisse und -trends aufdecken, sodass die Führungskräfte Vorkehrungen für drohende Lücken und zukünftige Anforderungen treffen können.“

Der große Wissenstransfer

Ein kurz- und mittelfristiger Personaltrend im Bankenbereich ist bereits jetzt klar erkennbar: Die Belegschaft altert rapide. Bis 2030 werden 150 Millionen Arbeitsplätze durch Personen im Alter von 55 Jahren aufwärts besetzt sein. Immer mehr der so genannten Babyboomer verabschieden sich in den Ruhestand. Dies bedroht das Tagesgeschäft, da dadurch erfahrene Mitarbeiter mit über Jahrzehnte angesammeltem Wissen aus den Unternehmen ausscheiden.

KI und ML können der HR-Abteilung laut Carrillo auch dabei helfen, diese generationsbedingte Talenthürde zu meistern. Den Banken wird es nicht gelingen, rechtzeitig genügend Menschen mit dem nötigen operativen Wissen einzustellen und anzulernen, bevor die Vorgänger in den Ruhestand gehen. Eine KI-gestützte Erfassung dieses Wissens bietet einen wertvollen neuen Anwendungsfall, wenn es darum geht, das Problem des Wissenstransfers zu lösen.

„Hier können die Maschinen sozusagen von den Mitarbeitern lernen, indem sie deren Aktionen nachverfolgen, Betriebsabläufe dokumentieren und Schulungsempfehlungen geben“, betont Carrillo und weist gleichzeitig darauf hin, dass alle Vorschläge durch Menschen geprüft werden sollten. „Zudem sind diese Materialien wahrscheinlich von höherer Qualität als manuell erstellte Dokumente, da diese Tools mit zunehmender Verwendung immer besser werden.“

Gerade die Auswirkungen der drohenden Pensionierungswelle im Bankensektor lassen sich so erheblich abmildern. „Damit lässt sich die Wissenslücke zwischen ausscheidenden, gut informierten Berufsveteranen und neuen Mitarbeitern mit wenig praktischer Erfahrung verringern“, fügt Carrillo hinzu. Man denke etwa an einen Chatbot, der neue Arbeitskräfte mit Erinnerungsmeldungen dabei unterstützt, bestimmte Verfahrensschritte nicht zu vergessen oder entsprechende Genehmigungen einzuholen. 

„Diese Tools werden auf der Basis immenser Datenmengen trainiert und sie werden der Belegschaft helfen, ihre Arbeit effektiver zu erledigen“, so Carrillo. 

Startschuss für eine kompetenzbasierte Bewegung

KI und ML werden die Beziehung von Mensch und Technologie im Bankwesen grundlegend verändern – sowohl in der HR-Abteilung als auch für einzelne Rollen. Angesichts der vielen bevorstehenden Veränderungen müssen die Verantwortlichen zwei entscheidende Fragen beantworten.

„Wie soll die Zukunft der Arbeit in einer KI- und ML-gestützten Umgebung aussehen?“, so Carrillo. „Und wie kommen Sie diesem Ziel näher? Führungskräfte müssen mit überholten Gewohnheiten und Annahmen brechen und sich neue Denk- und Arbeitsweisen zu eigen machen.“

„Prädiktive Analysen auf KI- und ML-Basis können kurzfristige Personalereignisse und -trends aufdecken, sodass die Führungskräfte Vorkehrungen für drohende Defizite und zukünftige Anforderungen treffen können.“

Nicole Carrillo Managing Director, Financial Services Industry Workday

Ein kompetenzbasierter Ansatz zur Personalentwicklung gewinnt im Gegensatz zu einem stellenbasierten Ansatz zunehmend an Bedeutung. Der Fokus liegt weniger auf Studienabschlüssen und linearen Werdegängen. In einer Zeit anhaltenden Fachkräftemangels kann sich ein solcher Ansatz, unterstützt durch Weiterqualifizierung und Umschulung, auszahlen. KI und ML können diese Aktivitäten im Hintergrund unterstützen und Daten zu Personal- und Kompetenzanforderungen in einen strategischen Vorteil verwandeln.

Im Großen und Ganzen geht es hier um die Fähigkeit, effektive Chancen zur Produktivitäts- und Innovationsförderung zu nutzen. „Letztendlich wird die KI einen großen Teil des Tagesgeschäfts im Bankwesen umgestalten – und zwar in allen Bereichen“, ist sich Carrillo sicher. „Unternehmen werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit neuen und anderen Kenntnissen brauchen.“

Wenn es den Banken gelingt, das Potenzial der neuen KI- und ML-Technologien auszuschöpfen, könnten sie laut Carrillo sogar etwas erreichen, das heute noch in weiter Ferne zu liegen scheint: einen Überschuss an Spitzenpersonal. „Wenn Talente im Unternehmen die Möglichkeit erhalten, an innovativen Projekten mitzuwirken und auf neue Weise mit den Kunden zu interagieren, fördert dies die Akquise qualifizierter Mitarbeiter mit gefragten Kompetenzen“, erklärt Carrillo. „Banken können eine hochmotivierte Belegschaft schaffen – vorausgesetzt, sie verstärken ihre Bemühungen in diesem Bereich.“

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