Work: Das Produktivitätsparadox
Trotz aller Euphorie um Automatisierung und KI fühlen sich viele eher überfordert als befreit. „Reclaiming Capacity“ – also Kapazitäten zurückgewinnen – meint hier nicht einfach Zeitersparnis durch Technologie. Es geht um ein grundlegend neues Verständnis davon, wie Arbeit überhaupt fließt. Acht von zehn Befragten geben an, ständig beschäftigt zu sein – aber niemand weiß so recht, womit genau.
Die Studie zeigt: Engpässe entstehen nicht nur durch zu viel Arbeit, sondern durch zersplitterte Systeme, unklare Zuständigkeiten und schlecht abgestimmte Prozesse. Selbst mit digitalen Tools bleibt Arbeit oft fragmentiert – Mitarbeitende stecken in Bottlenecks fest, ohne die Befugnis, sie zu lösen. Deloitte fordert Unternehmen auf, nicht bei der Digitalisierung stehenzubleiben. Stattdessen braucht es eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Struktur von Arbeit: Wie werden Prioritäten gesetzt? Wer darf Entscheidungen treffen? Und auf welcher Grundlage?
Echte Fortschritte beginnen nicht mit neuen Tools, sondern mit einer neuen Ordnung.
Workforce: Der Wertbegriff wird neu geschrieben
Deloittes Analyse der Belegschaft bewegt sich entlang dreier Linien:
Die Human Value Proposition im Zeitalter der KI
Künstliche Intelligenz kann Arbeit erzeugen, Lernen unterstützen und Routineaufgaben eliminieren. Doch im Hintergrund verändert sie schleichend auch die Erwartungen. Mitarbeitende übernehmen zunehmend die kognitiv anspruchsvollsten Aufgaben – oft ohne klare Zuständigkeit oder sichtbaren Beitrag. Es geht nicht nur um technische Komplexität, sondern auch um emotionale Belastung. Wie bleibt Motivation bestehen, wenn am Ende die Maschine den Applaus bekommt?
Die Erfahrungslücke schließen
Fachkräftemangel ist selten eine Frage mangelnder Lernbereitschaft – sondern ungleicher Zugang zu Entwicklungschancen. Sandrine Michelmore beschreibt ein Unternehmen, das KI einsetzt, um Code zu generieren – die Mitarbeitenden prüfen das Ergebnis und vertiefen so ihre technische Kompetenz. Ein Wechsel von Substitution zu Symbiose.
Neue Technologie, neue Arbeit
Wer dem nächsten Tool hinterherläuft, übersieht oft die entscheidendere Frage: Welches Problem soll eigentlich gelöst werden? Deloitte plädiert für eine wertebasierte Technologieeinführung – bei der Innovation nicht als Zusatz, sondern als Teil der Problemstruktur gedacht wird.
Organization & Culture: Wer hält das Zentrum zusammen?
Motivation entsteht nicht von selbst – sie braucht Struktur. Zwar verfügen viele Unternehmen über etablierte Performance-Frameworks, doch scheitern diese oft an ihrer Wirkung. Der Grund: Sie werden als Kontrollinstrumente verstanden, nicht als Entwicklungsimpuls. In Deloittes Lesart ist Performance Management kein formaler Akt, sondern eine lebendige Beziehung – getragen von kontinuierlichem Feedback, gegenseitiger Anerkennung und strategischer Ausrichtung. Entscheidend ist dabei nicht nur die Konsistenz der Prozesse, sondern ihre emotionale Resonanz. Wenn Mitarbeitende den Zusammenhang zwischen ihrem Einsatz, persönlichem Wachstum und der Richtung des Unternehmens klar erkennen, wird Motivation tragfähig. Was diese Verbindung häufig unterbricht, ist nicht ein Mangel an Tools – sondern ein Mangel an Sinn.
Die grundlegendere Frage aber zielt auf das Management selbst. Angesichts wachsender Komplexität und veränderter Erwartungen wird die Rolle der mittleren Führungsebene neu definiert. Deloittes Modell trennt zwischen operativer Steuerung und individueller Entwicklung: Für Letztere sind eigene „People Developer“ zuständig – mit klarem Fokus auf Coaching und Performancedialoge. So gewinnen Führungskräfte den Freiraum, sich gezielt auf Wachstum und strategische Ausrichtung zu konzentrieren, ohne im Tagesgeschäft zu versinken.
Sandrine Michelmore betont, dass solche Rollen tiefgreifende Investitionen in Leadership-Kompetenzen erfordern: Empathie, aktives Feedback und klare Kommunikation. In zunehmend fluiden, cross-funktionalen Teams sind das keine „Nice-to-haves“ mehr – sondern Voraussetzungen für Führung. Der Wandel zielt nicht auf Stellenabbau oder flachere Hierarchien, sondern auf ein neues Führungsverständnis: Leadership als Fähigkeit, Orientierung zu geben, Potenzial zu entfalten und Vertrauen über Teamgrenzen hinweg zu schaffen.
Flexible Intelligenz: Der wahre Wettbewerbsvorteil
Der diesjährige Bericht nähert sich dem Thema KI mit einer wohltuenden Nüchternheit – ohne Übertreibung, ohne Alarmismus. Im Zentrum steht kein neues Tool, sondern ein verändertes Denken: Organisationen sind dann erfolgreich, wenn sie schneller lernen, als sich die Welt verändert. Dieses Lernvermögen beruht nicht auf Technologie allein – sondern auf Denkgewohnheiten, Lernkulturen und Führungsverständnissen, die sich mit dem Umfeld weiterentwickeln können.
Deloitte nennt das „flexible Intelligenz“ – eine Kombination aus kultureller Beweglichkeit, Datenkompetenz und menschlichem Urteilsvermögen. Es ist die Fähigkeit, Komplexität aufzunehmen, ohne die Orientierung zu verlieren. Sich anzupassen, ohne sich zu verzetteln.
Denn Human Capital ist kein „Rohstoff“. Es ist das Gerüst, an dem Veränderung entweder greift – oder ins Leere läuft. Deloittes Botschaft ist klar: Nicht nur für Effizienz bauen. Für Wandel bauen. Denn was heute funktioniert, bleibt nicht stehen.
Die Aufgaben, die daraus folgen, sind alles andere als abstrakt: Es geht darum, Führung neu zu definieren – im Kontext einer KI-getriebenen Arbeitswelt. Um Performancesysteme, denen Menschen wirklich vertrauen. Und um neue organisationale Rhythmen, die Platz schaffen für Lernen, Reflexion und Erholung. Diese Maßnahmen sind keine bloßen Optimierungen. Sie markieren fundamentale Verschiebungen darin, wie Organisationen Resilienz aufbauen, Strukturen weiterentwickeln und Menschen auf langfristige Wirkung vorbereiten.
Wer sich dieser Tiefe stellt – wer Spannungen ernst nimmt, alte Strukturen hinterfragt und Führung bewusst weiterdenkt – wird nicht nur besser reagieren. Sondern aktiv mitgestalten, was Arbeit in Zukunft bedeutet.