Wie sich die Talentkrise in der Versicherungsbranche mit KI bewältigen lässt

In der Versicherungsbranche herrscht ein massiver Fachkräftemangel. Gelingt es Führungskräften in der Branche, die wachsende Kompetenzlücke zu schließen? KI und Machine Learning (ML) bieten effektive Möglichkeiten, die Automatisierung voranzutreiben und Erkenntnisse für die Weiterentwicklung der Belegschaft zu gewinnen.

Zwei zufriedene Mitarbeiter beim Betrachten eines Laptop-Bildschirms

Angesichts der zunehmenden Zahl der durch den Klimawandel bedingten Naturkatastrophen und der steigenden geopolitischen Volatilität blickt die Versicherungsbranche nicht gerade optimistisch in die Zukunft. Tatsächlich fühlen sich 70 % der Befragten aus diesem Bereich nicht auf kommende disruptive Entwicklungen vorbereitet oder sind pessimistisch, was die Marktaussichten angeht, wie eine IDC-Studie von 2023 ergab. In der Führungsetage sind es sogar 86 %.

Ein Grund, warum sich Führungskräfte in der Branche unvorbereitet fühlen, ist die drohende Talentkrise im Versicherungsbereich. Bis 2026 könnten Versicherungsunternehmen in den USA Angaben des U.S. Bureau of Labor Statistics zufolge 400.000 Beschäftigte durch Mitarbeiterfluktuation verlieren. 

Der Umstand, dass immer mehr der so genannten Babyboomer in den Ruhestand gehen, verschärft den Fachkräftemangel in der Branche zusätzlich. Nach Angaben der US-Handelskammer sind weniger als 25 % der Beschäftigten in der Versicherungsbranche jünger als 35 Jahre. 

Angesichts der wachsenden Talentlücke suchen die betroffenen Betriebe nach technischen Lösungen. Laut IDC haben Technologien für Versicherer weltweit höchste Priorität, noch vor Rentabilität und Kundenzufriedenheit. 

Die digitale Transformation der Branche schreitet immer schneller voran. Ein Mangel an wichtigen Kenntnissen zu Technologie und Datenanalyse bremst jedoch einige Unternehmen aus. So glauben laut einer globalen Workday-Studie gerade einmal 41 % der Führungskräfte im Versicherungswesen, über die notwendigen Kompetenzen zu verfügen, um mit neuen und zukünftigen Finanztechnologien Schritt zu halten.

Selbst mit den brillantesten Recruiting-Strategien wird es nicht möglich sein, die Talent- und Kompetenzlücken, mit denen Versicherer konfrontiert sind, in absehbarer Zeit zu schließen. 

Nicole Carrillo, Managing Director, Financial Services Industry bei Workday rät den HR-Führungskräften der Branche, ihren Ansatz für die Personalentwicklung zu überdenken. Der Mehrwert von HR-Lösungen mit KI- und Machine Learning-Funktionen (ML) steigt von Monat zu Monat. Außerhalb des Finanzwesens wird dem Thema jedoch nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt.

„Viele HR-Führungskräfte unterschätzen den potenziellen Wert von KI für Versicherungsunternehmen, wenn es darum geht, Kompetenzlücken zu schließen, neue Rollen zu etablieren, Qualifizierungsmaßnahmen zu implementieren und den Wissenstransfer zu erleichtern“, so Carrillo. „Ganz allgemein können die modernen KI- und ML-Funktionen die Kompetenz der Versicherer im Risikomanagement erhöhen und dazu beitragen, Top-Talente für das Unternehmen zu begeistern.“

Bis 2026 könnten Versicherungsfirmen in den USA Angaben des U.S. Bureau of Labor Statistics zufolge 400.000 Beschäftigte durch Mitarbeiterfluktuation verlieren.

Mit KI das Potenzial von Personaldaten erschließen

Wenn eine Branche den Mehrwert von Daten kennt, dann die Versicherungsbranche. Seit Jahrhunderten werden dort anhand versicherungsmathematischer Tabellen Risiken identifiziert und minimiert. Einige HR-Manager sind sich jedoch nicht ganz über den Mehrwert von KI im Klaren, insbesondere wenn es um den Einsatz von Personaldaten für das Management von Talentrisiken geht. 

„Kurz gesagt: Eine HR-Plattform mit integrierter KI kann dabei helfen, Kompetenzlücken zu schließen und trägt dazu bei, dass diese erst gar nicht entstehen“, erklärt Carrillo. „Mithilfe von Technologie lassen sich neue Rollen entwickeln und Weiterbildungsprogramme modernisieren, was letztlich zur Verbesserung der Mitarbeiter-Experience beiträgt und dabei hilft, vielversprechende neue Talente anzuwerben.“

Wie sieht das in der Praxis aus? Große Datenmodelle können Daten zur Selbsteinschätzung der Mitarbeiter und Kompetenzanforderungen hinsichtlich Rollen, Teams und Funktionen erfassen. Damit liefern sie einen Überblick über die aktuelle Kompetenzlandschaft. 

Das Ergebnis ist eine HR-Plattform, die Skills-Trends – z. B. eine ungewöhnlich hohe Fluktuation in bestimmten Rollen oder demografischen Gruppen – verfolgt und entsprechende Warnungen ausgibt. So ist das HR-Team in der Lage, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und den Trend im besten Fall umzukehren. HR-Führungskräfte können anhand von Prognosen zu zukünftigen Kompetenzlücken auch weitreichenden Problemen wie der ruhestandsbedingten Fluktuation zuvorkommen. KI-gestützte Tools können außerdem dazu beitragen, den Verlust geschäftskritischer Kenntnisse durch ausscheidende Babyboomer zu verhindern.

„KI kann dabei helfen, die Aufgaben der Mitarbeiter zu erfassen, um Trainingsmaterialien zu entwickeln und Verfahren und Prozesse zu dokumentieren“, erklärt Carrillo. „Das Ergebnis ist tatsächlich detaillierter als die manuelle Dokumentation.“

Technologie hilft nicht nur beim Transfer jahrzehntelangen institutionellen Wissens von ausscheidenden Beschäftigten auf ihre Nachfolger, sondern auch bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter. Chatbots können zum Beispiel als Trainingsassistenten fungieren, die die menschliche Unterstützung ergänzen.

„Maßgeschneiderte KI-Lösungen verkürzen Lernkurven, indem sie die Wissenslücken zwischen erfahrenen Underwritern und Regulierern, die in den Ruhestand gehen, und ihren Nachfolgern schließen“, so Carrillo.

„Ein durchdachter und kreativer Einsatz von KI kann Unternehmen dabei helfen, ihre Belegschaft fit für die Zukunft zu machen, um die für die Branche charakteristische dynamische Risikolandschaft unter Kontrolle zu halten.“

Nicole Carrillo Managing Director, Financial Services Industry Workday

Schneller Erkenntnisse gewinnen

Die erforderlichen Kenntnisse, um Risiken effektiv bewerten, preislich einordnen und verwalten zu können, ändern sich mit der hochgradig dynamischen Risikolandschaft. Glücklicherweise können Versicherer KI einsetzen, um Kompetenzlücken durch erweiterte Analysen und Automatisierung – und letztlich durch schnellere Erkenntnisse – besser zu identifizieren und zu schließen.

Insbesondere ermöglicht es KI den IT- und Finanzführungskräften der Branche, wichtige Ziele der digitalen Transformation umzusetzen, z. B. bessere Informationserfassung sowie Risikomanagement und Compliance. Hier erfahren Sie, welche Vorteile KI Versicherungsunternehmen in beiden Bereichen bietet:

Informationserfassung: Generative KI ist deshalb so leistungsstark, weil sie Muster aus Daten ableitet – und zwar aus gewaltigen Mengen an Daten. Maßgeschneiderte KI-Modelle, die auf regionalen Klimawandelszenarien oder Millionen von Policen aus branchenspezifischen Data Lakes und von Unternehmenskunden basieren, können wertvolle Erkenntnisse liefern, die Underwriter bei der Bewertung und Preisgestaltung neuer Policen unterstützen. 

Risikomanagement und Compliance: KI kann die Automatisierung von Funktionen erleichtern, die die Effizienz beim Reporting erhöhen und die Priorisierung und Verarbeitung von Schadenfällen verbessern. Tools, die anhand von Millionen von Schadenfällen trainiert wurden, können die Belastung durch Routineaufgaben verringern, sodass sich das Fachpersonal stärker auf die strategische Arbeit konzentrieren kann. 

„Bezüglich Analysen und Automatisierung zeichnet sich ein klares Gesamtbild ab: KI kann den Unternehmen dabei helfen, versicherungsmathematische Experten weiterzubilden und das Team der Schadenbearbeitung zu entlasten, damit es sich auf komplexe Fälle konzentrieren kann, die mehr Aufmerksamkeit und Fachwissen erfordern“, erläutert Carrillo.

„Maßgeschneiderte KI-Lösungen verkürzen Lernkurven, indem sie die Wissenslücken zwischen sachkundigen Underwritern und Regulierern, die in den Ruhestand gehen, und ihren Nachfolgern schließen“.

Eine zukunftsorientierte Belegschaft fördern

Versicherer können massiv von innovativen Anwendungsfällen für KI und ML profitieren. So viel ist klar. Wenn Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ermöglichen, sich auf Aufgaben mit höherem Mehrwert zu konzentrieren, wirkt sich dies in der Regel positiv auf Engagement und Zufriedenheit der Belegschaft aus. Beides bremst die Fluktuation und trägt zur Gewinnung gefragter Fachkräfte bei.

„In dem Maße, in dem Versicherungsunternehmen neue Technologien einsetzen, um ihre Kompetenzen und Arbeitsmethoden weiterzuentwickeln, dürfte es ihnen auch gelingen, junge, technikaffine Talente zu gewinnen“, so Carrillo. „Kreative, innovative Arbeitgeber haben es in der Hinsicht wesentlich leichter.“

Angesichts der sich verschärfenden Talentkrise in der Versicherungsbranche ist das Festhalten am Status quo keine Option. Im Finanz- und Dienstleistungssektor, zu dem auch das Versicherungswesen zählt, dürften der Studie „Global Talent Crunch“ von Korn Ferry zufolge bis 2030 10,7 Millionen Arbeitskräfte fehlen. 

Der Stresstest beim Thema Personal hat begonnen – wie die HR-Führungskräfte in der Versicherungsbranche nur zu gut wissen. KI ist kein Allheilmittel, betont Carrillo, aber „ein durchdachter und kreativer Einsatz von KI kann Unternehmen dabei helfen, ihre Belegschaft fit für die Zukunft zu machen, um die für die Branche charakteristische dynamische Risikolandschaft unter Kontrolle zu halten.“

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