Ein System könnte etwa auf ein erhöhtes Fluktuationsrisiko bei bestimmten Rollen und Mitarbeiterprofilen aufmerksam machen – beispielsweise bei jungen Softwareentwicklern. „Dann können Sie die Kündigungsgründe ermitteln und mehr tun, als nur Ihre Einstellungsaktivitäten zu intensivieren“, so Carrillo. „Sie können untersuchen, warum die Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, und die betroffenen Rollen und Aufgabenprofile entsprechend anpassen.“
Eine HR-Plattform mit integrierten KI- und ML-Funktionen kann darüber hinaus aktuelle Defizite identifizieren, den kurzfristigen Talentbedarf vorhersagen, die Ressourcenzuweisung optimieren und ein integratives Talentmanagement fördern. Verabschiedet sich ein Mitarbeiter beispielsweise immer früher in den Feierabend, so könnte dies ein Anzeichen einer bevorstehenden Kündigung sein. Carrillo merkt an, dass prädiktive Einblicke dieser Art das HR-Team in die Lage versetzen, Kompetenzlücken und offene Stellen zu prognostizieren, bevor daraus ernsthafte Probleme für das Unternehmen entstehen.
„Anomalieerkennung und gezielte Vorschläge bieten hier den entscheidenden Mehrwert“, so Carrillo. „Prädiktive Analysen auf KI- und ML-Basis können kurzfristige Personalereignisse und -trends aufdecken, sodass die Führungskräfte Vorkehrungen für drohende Lücken und zukünftige Anforderungen treffen können.“
Der große Wissenstransfer
Ein kurz- und mittelfristiger Personaltrend im Bankenbereich ist bereits jetzt klar erkennbar: Die Belegschaft altert rapide. Bis 2030 werden 150 Millionen Arbeitsplätze durch Personen im Alter von 55 Jahren aufwärts besetzt sein. Immer mehr der so genannten Babyboomer verabschieden sich in den Ruhestand. Dies bedroht das Tagesgeschäft, da dadurch erfahrene Mitarbeiter mit über Jahrzehnte angesammeltem Wissen aus den Unternehmen ausscheiden.
KI und ML können der HR-Abteilung laut Carrillo auch dabei helfen, diese generationsbedingte Talenthürde zu meistern. Den Banken wird es nicht gelingen, rechtzeitig genügend Menschen mit dem nötigen operativen Wissen einzustellen und anzulernen, bevor die Vorgänger in den Ruhestand gehen. Eine KI-gestützte Erfassung dieses Wissens bietet einen wertvollen neuen Anwendungsfall, wenn es darum geht, das Problem des Wissenstransfers zu lösen.
„Hier können die Maschinen sozusagen von den Mitarbeitern lernen, indem sie deren Aktionen nachverfolgen, Betriebsabläufe dokumentieren und Schulungsempfehlungen geben“, betont Carrillo und weist gleichzeitig darauf hin, dass alle Vorschläge durch Menschen geprüft werden sollten. „Zudem sind diese Materialien wahrscheinlich von höherer Qualität als manuell erstellte Dokumente, da diese Tools mit zunehmender Verwendung immer besser werden.“
Gerade die Auswirkungen der drohenden Pensionierungswelle im Bankensektor lassen sich so erheblich abmildern. „Damit lässt sich die Wissenslücke zwischen ausscheidenden, gut informierten Berufsveteranen und neuen Mitarbeitern mit wenig praktischer Erfahrung verringern“, fügt Carrillo hinzu. Man denke etwa an einen Chatbot, der neue Arbeitskräfte mit Erinnerungsmeldungen dabei unterstützt, bestimmte Verfahrensschritte nicht zu vergessen oder entsprechende Genehmigungen einzuholen.
„Diese Tools werden auf der Basis immenser Datenmengen trainiert und sie werden der Belegschaft helfen, ihre Arbeit effektiver zu erledigen“, so Carrillo.
Startschuss für eine kompetenzbasierte Bewegung
KI und ML werden die Beziehung von Mensch und Technologie im Bankwesen grundlegend verändern – sowohl in der HR-Abteilung als auch für einzelne Rollen. Angesichts der vielen bevorstehenden Veränderungen müssen die Verantwortlichen zwei entscheidende Fragen beantworten.
„Wie soll die Zukunft der Arbeit in einer KI- und ML-gestützten Umgebung aussehen?“, so Carrillo. „Und wie kommen Sie diesem Ziel näher? Führungskräfte müssen mit überholten Gewohnheiten und Annahmen brechen und sich neue Denk- und Arbeitsweisen zu eigen machen.“