Formel 1 gibt Vollgas bei der digitalen Beschleunigung

Chris Roberts, Head of IT Infrastructure bei Formel 1, spricht über die Erfolgstreiber der digitalen Transformation und erläutert, wie das Rennsportunternehmen seine Spitzenposition als „Innovationsmotor“ der Branche verteidigt.

Inmitten der Corona-Pandemie koordinierte Formel 1 (F1) mehrere Rennen an verschiedenen Orten weltweit. Diese Mammutaufgabe wäre ohne die richtige Technologie und entsprechende logistische Lösungen nicht zu bewältigen gewesen. Wir haben uns mit Chris Roberts, Head of IT Infrastructure bei Formel 1, unterhalten, um mehr über die digitale Transformation des Unternehmens auf und jenseits der Rennbahn zu erfahren.

Können Sie zunächst etwas zu Ihrem eigenen Hintergrund und zur Entwicklung der IT-Funktion bei F1 sagen?

Ich habe 1999 bei Formel 1 angefangen. Anfangs dachte ich noch: „Okay. Ich bleibe ein paar Jahre und suche mir dann etwas Neues.“ Doch dann hat mich die Arbeit in den Bann gezogen. Veränderung ist einfach Teil des Selbstverständnisses bei F1. Die kontinuierliche Weiterentwicklung ist Teil unserer DNA. Im Gespräch mit Branchenkollegen stelle ich immer wieder fest, dass dort an althergebrachten Organisationsstrukturen festgehalten wird. Bei Formel 1 ist das ganz anders. Wir sind ein echter Innovationsmotor. Wandel wird hier großgeschrieben. Darum habe ich immer alle Hände voll zu tun.

Vor etwa drei Jahren wurden unsere beiden IT-Abteilungen – eine für die Rennställe und eine für das Geschäftliche – zusammengelegt. Bis dahin hatten sie völlig verschiedene Schwerpunkte verfolgt. Doch mit dem zunehmenden Wachstum des Unternehmens wurde es immer schwieriger, diese beiden separaten Silos zu verwalten. Also fiel die Entscheidung, aus zwei Abteilungen eine zu machen, was durchaus sinnvoll war.

Inmitten der Wirren der Corona-Pandemie mussten Sie 17 Rennen an 11 Standorten koordinieren, darunter fünf neue Veranstaltungsorte. Welche technologischen Überlegungen spielten dabei eine Rolle?

Aus der Perspektive des IT-Leiters war die Corona-Pandemie für mich eine Zeit, in der alle Fäden zusammenliefen. Die gesamte Belegschaft hat Unglaubliches geleistet. Und das, obwohl wir beschlossen, ein Vorhaben, das eigentlich auf drei Jahre angelegt war, wegen Covid-19 in etwa acht Wochen über die Bühne zu bringen. Wir reduzierten unsere gesamte Sendeinfrastruktur um ca. 80 % und behielten nur den Teil in unserer technischen Einrichtung in Biggin Hill bei.

„Meine wohl wichtigste Erkenntnis ist, vorausschauend zu planen und so flexibel wie nur irgendwie möglich zu handeln, um die Vielzahl verschiedener Anwenderanforderungen unter einen Hut zu bringen.“

Chris Roberts Head of IT Infrastructure Formel 1

„Wir kümmern uns um die Akquisition für das Renngeschäft. Die Produktion wird inzwischen in Großbritannien erledigt. Der ganze Prozess, der eigentlich drei Jahre hätte dauern sollen, nahm letztlich nur etwa acht Wochen in Anspruch. Die Pandemie bot uns die Chance, dieses Risiko einzugehen. Covid-19 war für uns der Ansporn, den wir brauchten, um die Dinge anzupacken und Vollgas zu geben.“ Wir hatten schon einen Plan in der Hinterhand. Uns war also recht klar, wo es hingehen sollte. Wir haben einfach den Gang höher geschaltet.

Wir reden hier von massiven Änderung der Infrastruktur: Etwas, das 20 Jahre lang fest verbunden gewesen war, wurde auseinander gerissen und auf verschiedene Kontinente verlagert. Ohne Netz sitzen wir sozusagen auf dem Trockenen. Also haben wir viel Aufwand und Kraft darauf verwendet, ein möglichst schnelles Netzwerk mit möglichst geringer Latenz zu implementieren.

Formel 1 und Innovation gingen während der gesamten Geschichte des Motorsports schon immer Hand in Hand. Welche Technologien haben für Sie Priorität, wenn es darum geht, mit dem Tempo der digitalen Innovation Schritt zu halten?

Abseits der Rennstrecke dreht sich alles um Kundenorientierung. Kundendatenplattformen stehen daher ganz oben auf meiner Liste – gerade mit Blick auf die Zukunft. Momentan überprüfen wir unsere gesamte MarTech-Plattform und haben bereits mehrere Programme im Visier. Wir möchten Formel 1-Fans die Möglichkeit geben, für sie relevanten Content in beliebiger Menge zu konsumieren.

Wir wollen unsere Kunden besser verstehen, um unseren Service zu optimieren, und dabei möglichst sensibel vorgehen. Das hat für uns im Moment Vorrang: Damit soll sichergestellt werden, dass der Content, den wir bereitstellen, bei den Fans auch wirklich Anklang findet. Ich denke, dies hat für uns derzeit oberste Priorität. Und ob uns das gelingt, hängt von unserer MarTech-Plattform ab.

Der Schutz geistigen Eigentums ist im Formel 1-Bereich natürlich sehr wichtig. An welchen betrieblichen Cybersicherheitsinitiativen arbeiten Sie gerade?

Liberty Media legte mit der Übernahme von Formel 1 sehr ambitionierte Ziele vor. Bernie [Ecclestone] verstand sich blendend darauf, Beziehungen zu knüpfen und Deals auszuhandeln. Doch bei Liberty hieß es: „Wir haben keine Marketing-Abteilung. Wir brauchen eine Handelsabteilung. Wir müssen uns um all diese Aspekte kümmern, die viele Unternehmen als selbstverständlich betrachten.“ Also begann man bei Liberty, eine ganze Reihe neuer Abteilungen zu gründen.

Diese Abteilungen legten los und nahmen eine Vielzahl von Projekten in Angriff. Die Öffentlichkeit hat dieses Bild der Formel 1 als weltumspannende Marke, doch tatsächlich sind wir nur 500 Leute. Manche glauben, es gäbe Tausende von uns. Dabei arbeiten wir mit einer Vielzahl von Drittanbietern und Partnern zusammen, um unsere Ziele zu erreichen. Das Cyber- oder Informationssicherheitsprogramm wurde als Netz um einen Teil dieser Drittunternehmen gesponnen, um die Zusammenarbeit mit Partnern zu erleichtern, denen wir einen Teil unserer Unternehmensdaten und andere sensible Informationen anvertrauen.

„Wir möchten Formel 1-Fans die Möglichkeit geben, für sie relevanten Content in beliebiger Menge zu konsumieren.“

Beim Thema Cybersicherheit geht es immer darum, Personen zu schützen und über Risiken zu informieren – gerade während der Corona-Krise, als viele Mitarbeiter im Homeoffice arbeiteten. Da kann es passieren, dass man unvorsichtig wird, ein privates Gerät nutzt oder etwas tut, das nicht den Sicherheitsanforderungen entspricht. Wir haben uns in den letzten 12 Monaten sehr darum bemüht, die Sicherheit dieser Daten zu gewährleisten und deren Wert klar zu kommunizieren.

Das Thema ökologische, soziale und ethische Unternehmensverantwortung (ESG) rückt immer mehr in den Vordergrund. Vor diesem Hintergrund haben Sie die „Race to Zero“-Initiative zur Senkung der CO2-Emissionen der Formel 1 ins Leben gerufen. Was genau ist darunter zu verstehen?

Die Cloud hat unsere Arbeitsweise drastisch verändert. Wir können Services nun in wesentlich kürzerer Zeit bereitstellen und auch wieder einstellen, sodass wir keine Investitionen in Hardware tätigen müssen, die wir gar nicht nutzen. Das ist ein echter Game Changer. Unser Motorsport-Team arbeitet schon seit einiger Zeit an einem gigantischen Projekt in der Cloud. Allein für dieses eine Projekt hätten wir einen ganzen Kommunikationsraum benötigt, hätten wir uns entschieden, die Infrastruktur intern bereitzustellen. So können wir das Projekt aufsetzen, daran arbeiten und es nach der Fertigstellung wieder deaktivieren. Auf diese Weise sparen wir Unmengen von Kosten.

Wie bereits erwähnt, sind wir inzwischen auf Remote-Produktion umgestiegen. Dadurch fällt im Vergleich zu früher nur noch 20 % des Logistikaufwands für den Betrieb unserer Sendeanlage an. Auf diese Weise konnten wir das jeweils vor Ort benötigte Personal und die globale Frachtmenge reduzieren. Außerdem hält unsere Hardware jetzt länger, weil sie keinen Erschütterungen oder Minusgraden im Flugzeug mehr ausgesetzt ist oder stundenlang bei 50 Grad Celsius auf der Landebahn eines Flughafens ausharren muss. Früher hatte unsere Sendeausrüstung eine Halbwertzeit von etwa drei Jahren. Danach wurde sie entsorgt. Jetzt hält sie wesentlich länger. Damit hatte ich gar nicht gerechnet. Doch es ist ein willkommener Nebeneffekt.

Was haben Sie als IT-Leiter durch die Pandemie im Hinblick auf die Zukunft gelernt?

„Flexibilität“ war während der gesamten Pandemie ein Schlüsselwort. Es bedeutete eine wahre Herausforderung, 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice zu unterstützen, insbesondere während des ersten Lockdowns, als das Leben quasi still stand. Aber wir haben es geschafft.

Als Unternehmen hatten wir das große Glück, dass wir unserer Zeit schon vorher um einiges voraus waren. Da Geschäftsreisen bei uns an der Tagesordnung sind, arbeiten 90 % der Mitarbeiter am Laptop. Die Umstellung war daher gar nicht so groß. Glücklicherweise ahnte ich bereits, was auf uns zukommen würde, als die Pandemie in China ausbrach, und traf entsprechende Vorkehrungen. Ich bestellte 100 Laptops und begann mit der Konfiguration, bevor die Lieferketten zusammenbrachen, was ja recht schnell geschah.

Meine wichtigste Erkenntnis ist, vorausschauend zu planen und so flexibel wie nur irgendwie möglich zu handeln, um die Vielzahl verschiedener Anwenderanforderungen unter einen Hut zu bringen. Wir nutzten bereits VPNs, doch wir benötigten passende Kommunikationsmittel und das richtige Equipment. Wir mussten in der Lage sein, diese Dienste in kürzester Zeit aufzusetzen. All das war für den Erfolg der Umstellung von entscheidender Bedeutung.

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