Gleichzeitig sind diese Zahlen kein Anlass zu trübem Kulturpessimismus. Viele Menschen sagen von sich, mit ihrer Arbeit zufrieden zu sein; viele verbinden ihren Job mit persönlicher Entwicklung und engen Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen. Der Befund ist damit komplexer. Beschäftigte sind bereit, sich einzubringen, aber sie erwarten Klarheit, Stärkenorientierung und Respekt.
Diese Erwartungshaltung trifft auf die zweite Digitalisierungswelle. Sie entscheidet maßgeblich darüber, ob Mitarbeitende Künstliche Intelligenz als Entlastung oder als Zumutung erfahren.
KI zwischen Entlastung und Überlast
Die OECD hat erhoben, wie Beschäftigte weltweit den Einsatz von KI erleben. Viele berichten, dass sie produktiver arbeiten und ihren Job als interessanter empfinden. Gleichzeitig steigt der Druck. Arbeit wird dichter, der Austausch im Team nimmt eher ab, und die Sorge vor Kontrolle wächst. Technologie schafft damit nicht automatisch Fortschritt. Sie eröffnet Möglichkeiten, bringt aber ebenso Zielkonflikte mit sich, die aktiv gestaltet sein wollen.
Für Führungskräfte markiert diese Entwicklung einen echten Wendepunkt. Wird KI vor allem genutzt, um Personal zu reduzieren, Berichte schneller zu erzeugen oder Taktraten weiter anzuziehen, entsteht lediglich eine beschleunigte Neuauflage der ersten Digitalisierungsphase, mit dem absehbaren Risiko von Erschöpfung und Vertrauensverlust. Setzen Unternehmen KI dagegen so ein, dass sie bei Routinen entlastet, Entscheidungen fundierter macht und Mitarbeitenden Zeit für Aufgaben lässt, die Können und Urteilskraft brauchen, entsteht ein völlig anderes Bild. Dann kann Digitalisierung Arbeit aufwerten.
Damit entsteht eine strategische Wahl: KI kann Routinen reduzieren und Freiräume schaffen. Oder sie kann Arbeit verdichten, Kontrollmöglichkeiten ausbauen und die ohnehin fragile Bindung der Mitarbeitenden weiter schwächen. Was passiert, hängt weniger an der Technologie selbst als daran, wie sie gestaltet wird.
Die eigentliche Aufgabe heißt Job-Redesign
Hier setzt die vielleicht wichtigste Erkenntnis dieser Welle an. Digitalisierung ist weniger ein Technologieprojekt als ein Kompetenzprojekt. McKinsey und andere Institute skizzieren für Europa Szenarien, in denen generative KI weite Teile der repetitiven Wissensarbeit übernimmt. Damit wächst der Druck auf jene Tätigkeiten, die sich nicht automatisieren lassen: Urteilsvermögen, Empathie, Analyse.
Entscheidend ist damit nicht der Automatisierungsgrad, sondern das Konzept der augmentierten Arbeit. Es reicht nicht, Prozesse zu optimieren, stattdessen müssen Rollenprofile neu geschnitten werden. Wo genau entlastet KI? Welche höherwertigen Aufgaben entstehen dadurch? Welche Kompetenzen brauchen Teams künftig, und wie gelangen die Menschen dorthin, ohne dass die Transformation wie eine ständige Drohkulisse wirkt?
Hier liegt der blinde Fleck vieler Digitalstrategien. Sie beschreiben, welche Systeme eingeführt werden, aber nicht, wie sich die Arbeitstage real verändern. Ein zukunftsfähiges Workforce-Playbook müsste genau diese Mikroebene sichtbar machen: Welche Aufgaben fallen weg, welche kommen hinzu, wie verschieben sich Verantwortlichkeiten? Technologien wie die Skills-Clouds moderner HR-Systeme können helfen, diese Veränderungen datenbasiert zu modellieren, aber die eigentliche Führungsaufgabe bleibt zutiefst menschlich.
Zu dieser Aufgabe gehört auch, dass jede technische Neuerung einen verlässlichen Rahmen braucht, damit sie Vertrauen schafft und im Alltag tragfähig wird.
Vertrauen ist die neue Compliance
Mit dem EU AI Act hat Europa den ersten umfassenden Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz geschaffen. Er legt fest, welche Anwendungen tabu sind und welche strengen Auflagen unterliegen, etwa KI-gestützte Bewerbungs- oder Bewertungssysteme. Unternehmen müssen zudem sicherstellen, dass Beschäftigte, die mit solchen Systemen arbeiten, ausreichend geschult sind.
Trotzdem zeigen Studien, dass nur wenige Organisationen über klare interne Leitlinien verfügen. Viele setzen KI bereits ein, ohne dass Regeln, Zuständigkeiten oder Kontrollmechanismen wirklich geklärt sind. Es entsteht eine Lücke zwischen technischem Fortschritt und organisatorischer Steuerung, die Risiken unnötig erhöht.