Die Zukunft des Versicherungswesens: Agilität als Ziel

Wachsende Risiken durch den Klimawandel, gestiegene Erwartungen der Verbraucher und ein Mangel an Tech-Talenten gehören zu den großen Herausforderungen, denen sich die Versicherungsbranche derzeit stellen muss. Doch es eröffnen sich auch Chancen. Branchenexperten legen im Folgenden dar, wie diese und andere Anforderungen die Branche in den kommenden Jahren prägen werden.

Konfrontiert mit einer globalen Pandemie, wie sie nur etwa einmal in hundert Jahren vorkommt, und einer Zunahme von Naturkatastrophen haben Versicherungsunternehmen das getan, was sie am besten können: Volatilität prognostizieren und sich entsprechend absichern. Gleichzeitig haben sie sich neue Technologien zu eigen gemacht, um die Schadensabwicklung effizienter zu gestalten, das digitale Kundenerlebnis zu verbessern und eine zunehmend hybride und weit verstreute Belegschaft zu unterstützen. 

Aktuelle Innovationen verdeutlichen aber auch, dass sich die Versicherer einer harten Realität stellen müssen: Die Zukunft der Branche wird von einem rasanten Wandel an mehreren Fronten geprägt sein – begonnen bei den digitalen Kompetenzen bis hin zu den Kundenerwartungen. Um in diesem zunehmend komplexen operativen Umfeld zu bestehen, müssen sich Versicherer als Vorreiter der Digitalisierung positionieren. 

Das bedeutet zunächst einmal, dass veraltete On-Premise-Systeme cloudbasierten Technologien weichen müssen, die ein breites Spektrum an Wettbewerbsvorteilen bieten, darunter datengestützte Entscheidungen, maßgeschneiderte Kundenerlebnisse und eine technisch versierte Belegschaft. 

Und auch wenn jeder Versicherer je nach Marktposition und Strategie seinen eigenen Weg finden muss, sind sich die Branchenführer in einem Punkt einig: Hinsichtlich des Stellenwerts neuer Technologien zur Bewältigung des Wandels ist das Versicherungswesen an einem Wendepunkt angelangt.

„Nach vielen Jahren im Versicherungswesen, die uns Einblicke nicht nur in die Trends, sondern auch in das regulatorische Umfeld der Branche verschafft haben, beobachten wir, dass sich die brancheninternen Probleme mit der Hilfe von Technologien lösen lassen. Es liegt an uns, das Bewusstsein dafür zu schärfen“, erklärte Dave Zager, Partner beim Workday Financials Practice von Deloitte, kürzlich in einem Workday Podcast

Firmen, die den Absprung wagen und ihre Kernsysteme modernisieren, dürfen mit zahlreichen Vorteilen in den Bereichen Operations, Strategie, Kundenerlebnis und Talentmanagement rechnen. Laut Experten und Führungskräften im Versicherungsbereich gibt es vier Schlüsselbereiche, auf die sich die Branche in den kommenden Jahren konzentrieren sollte. Auch sind sie sich sicher, dass cloudnative Technologien den Wandel vorantreiben werden.

Technologische Fortschritte und regulatorische Anforderungen forcieren zukunftsorientierte Datensysteme im Versicherungswesen

Inzwischen werden Katastrophengebiete mit Hilfe von Drohnen inspiziert. Kunden können eigene Fotos und Videos als Beweise für Versicherungsschäden in mobile Apps hochladen. Und durch die Verbreitung von intelligenten Sensoren und anderen IoT-Geräten stehen Versicherern nun mehr Möglichkeiten zur Risikobewertung und Betrugsprävention zur Verfügung. 

Allerdings wird das Potenzial der Datenanalyse zur Untersuchung des Kundenverhaltens und der Risikokosten von vielen Versicherern nicht voll ausgeschöpft. Das liegt größtenteils an den technischen Altlasten, die sich aus der Abhängigkeit von unflexiblen, zeitintensiven Legacy-Systemen ergeben. 

Entsprechend äußern sich 62 % der im Rahmen der Workday-Studie zur digitalen Beschleunigung befragten Führungskräfte überzeugt, dass Technologie, die Datensilos aufbrechen bzw. Finanz-, Personal- und Betriebsdaten zusammenführen kann, der Schlüsselfaktor zur Optimierung datengestützter Entscheidungen ist.

Es steht zu erwarten, dass sich der Wandel in diesem Bereich beschleunigen wird: Aktualisierte regulatorische Vorschriften und Rechnungslegungsgrundsätze setzen veraltete Legacy-Systeme und ineffiziente Prozesse stark unter Druck. Dies veranlasst die Unternehmen, sich von diesen Systemen zu trennen und sie durch konsequent datengesteuerte Lösungen zu ersetzen, erklärte Zager. Auch aufgrund neuer technologischer Fortschritte wird der Wandel unvermeidlich sein. 

„In den letzten Jahren wurden zahlreiche Technologien und Funktionen auf dem Markt erweitert, d. h., die Daten und deren Nutzung im Sinne der Wertschöpfung für das Unternehmen rückten in den Mittelpunkt“, so Zager.

Darüber hinaus werden künstliche Intelligenz (KI), Machine Learning (ML) und cloudbasierte Technologien den Versicherern zunehmend dabei helfen, effizientere und stärker automatisierte Underwriting- und Schadenregulierungsprozesse zu implementieren, die durch Module für datengestützte Entscheidungen unterstützt werden, so das Fazit der KPMG-Studie „Future of Large Commercial Insurance“. 

Acht von zehn Entscheidungsträgern in großen Versicherungsgesellschaften räumen ihrer kundenorientierten Strategie laut KPMG hohe oder höchste Priorität ein. 

Wenn Versicherungsunternehmen auf ethisch vertretbare und sensible Weise das volle Potenzial interner Daten – einschließlich Kundendaten – zu nutzen wissen, können sie Trends bei der Verbrauchernachfrage stets einen Schritt voraus sein und auf dieser Basis neue Produkte einführen, Wachstum fördern und Risiken reduzieren. Die Kosten eines Feshaltens am Status quo dürften derweil steigen. 

„Bedingt durch die jüngsten Cyberereignisse waren einige unserer Kunden aus der Versicherungsbranche regelrecht isoliert und unfähig, produktiv zu arbeiten. Dies betraf vor allem Unternehmen, die weiterhin auf veraltete On-Premise-Systeme setzen“, erklärte Tony Alejo, Partner bei KPMG. „Diese unverhofften Ereignisse führten unseren Kunden die Vorteile einer cloudbasierten digitalen Umgebung vor Augen.“

Vertrauen und eine maßgeschneiderte Anwendererfahrung gehören für Kunden zunehmend zum Standard

Heutzutage erwarten Kunden von ihrer Versicherungsgesellschaft die gleiche personalisierte, optimierte Erfahrung, die sie vom Online-Shopping und -Banking oder aus den sozialen Medien gewohnt sind. 

Insurtechs haben diesen „digitalen Gesinnungswandel“ erkannt und ihm Aufwind verschafft. Das ist auch den Führungskräften der Traditionsfirmen auf dem Markt nicht entgangen. Acht von zehn Entscheidungsträgern großer Versicherern räumen ihrer kundenorientierten Strategie laut KPMG hohe oder höchste Priorität ein. 

Zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens konzentrieren sich CIOs im Versicherungswesen unter anderem auf den Bereich Kundenerlebnis und -Engagement. So gaben in einer KPMG-Umfrage 44 % Prozent der CIOs an, dass ihr Unternehmen in diese Richtung investiert, gefolgt von Ausgaben für Infrastruktur und Cloud-Technologie (35 %). 

Kundenerlebnis und digitale Transformation sind laut Jay Rabinowitz, Vice President of Financial Services and Insurance bei Workday, eng miteinander verknüpft, allerdings werden viele Versicherer durch Datensilos ausgebremst. „Viele Unternehmen sind organisch gewachsen. Dabei haben sich die Vertriebs- und Engineering-Teams in Silos abgespalten“, erklärt er. Finanzdienstleister, zu denen auch Versicherer zählen, müssen „ein Gespür dafür entwickeln, dass der Kunde derselbe ist, unabhängig davon, welches Team ihn gerade betreut. Diese Verknüpfung herzustellen, ist schwieriger als allgemein angenommen.“ 

Weniger als 25 % der Beschäftigten in der Versicherungsbranche sind jünger als 35 Jahre. Dabei dürften bis 2036 laut einer Studie der US-Handelskammer voraussichtlich 50 % der derzeitigen Beschäftigten in den Ruhestand gehen.

Die Implementierung einer einheitlichen Datenumgebung ermöglicht es Unternehmen jedoch, die vorhandenen Daten zu nutzen, um innovative Produkte zu entwickeln, die den Wünschen der Verbraucher entgegenkommen. „Warum haben Kunden unterschiedliche Anbieter für Hausrat-, Kfz- und Lebensversicherung? Was wäre, wenn es ein Kombi-Angebot für all diese Leistungen gäbe?“, gibt Rabinowitz zu bedenken.

Das ist nur ein Beispiel für ein maßgeschneidertes Kundenerlebnis, das Vertrauen und Loyalität schaffen kann und etablierten Versicherern dabei hilft, den anhaltenden „Kampf um den Kunden“ (McKinsey) zu gewinnen, den die Insurtech-Startups begonnen haben.

Um auf dem Talentmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben, modernisieren Versicherer ihrer Einstellungs- und Personalprozesse

Wenn es darum geht, sich im Wettbewerb um Spitzenkräfte zu behaupten, verschafft hochmoderne Technologie den entscheidenden Vorteil, die sowohl Talentmanagement-Strategien als auch die Mitarbeiter-Experience unterstützt.

Es steht schließlich viel auf dem Spiel. Demografische Trends deuten darauf hin, dass der Versicherungsbranche eine Talentkrise droht, da viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kurz vor der Pensionierung stehen. Geeignete Nachfolgern bei Millennials und Generation Z sind indessen rar. Weniger als 25 % der Beschäftigten in der Versicherungsbranche sind jünger als 35 Jahre. Dabei werden bis 2036 laut einer Studie der US-Handelskammer voraussichtlich 50 % der derzeitigen Beschäftigten in den Ruhestand gehen. 

Als noch dringender erweist sich der Bedarf an IT- und Datenexperten, die nach wie vor sehr stark nachgefragt sind. Erschwerend kommt hinzu, dass einige der weltweit größten Technologieunternehmen Fachkräfte aus den lokalen Versicherungsbranchen mit Remote-Arbeitsverträgen abwerben. 

Damit die Anwerbung und Bindung von Top-Talenten gelingt, muss sich die gesamte Branche von ihren Legacy-Systemen trennen und in die Cloud wechseln. Der Grund dafür ist einfach: IT-Fachkräfte und Data Scientists sind nicht gewillt, mit veralteten On-Premise-Systemen zu arbeiten. „Junge Fachkräfte geben sich nicht mit einer überholten Infrastruktur zufrieden. Sie wollen die Chance haben, in einem neuen und innovativen Umfeld zu arbeiten – z. B. mit cloudbasierter Technologie, modernen Datenlösungen, neuen Programmiersprachen und künstlicher Intelligenz“, so Rabinowitz.

Die Vorteile cloudbasierter Technologien und Talente reichen jedoch weit über die Anwerbung und Bindung lokaler Kräfte hinaus. Vollständig modernisierte Lösungen – idealerweise sowohl für das Kerngeschäft als auch für das Personalmanagement – erweitern die Möglichkeiten im Rahmen von Remote-Arbeit und unterstützen Versicherungsanbieter bei der standortunabhängigen Suche nach geeigneten Talenten.

Rabinowitz hält Technologie für ein wichtiges Differenzierungsmerkmal hinsichtlich Recruiting und Mitarbeiterbindung. Durch die Pandemie haben sich die Mitarbeitererwartungen verändert: Sinn und Wert der Arbeit standen nie so sehr im Fokus wie heute. In der Versicherungsbrache hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die digitale Transformation dazu beitragen kann, diese zentralen Forderungen der Belegschaft zu erfüllen. „Die Technologiestrategie eines Unternehmens ist für die Personalstrategie entscheidend“, erklärte Rabinowitz in einem Insurance Journal-Interview und verweist auf eine aktuelle Workday-Studie. Dieser Studie zufolge plant etwa die Hälfte der CFOs im Finanzsektor, zwecks Talentgewinnung in den nächsten fünf Jahren in eine intuitive Benutzeroberfläche für Finanzaufgaben zu investieren.

Zielgerichtete Technologieinvestitionen eröffnen dem Team die Möglichkeit, sich auf sinnvollere Aufgaben zu konzentrieren. „Wenn wir Routineaufgaben automatisieren und durch effiziente Workflows die Produktivität optimieren, können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker auf strategische Aufgaben konzentrieren und größeren Mehrwert für das Unternehmen generieren“, so Rabinowitz weiter.

Die Gefahren des Klimawandels fördern Brancheninnovationen und erhöhen das Bewusstsein der Kunden

Angesichts der Häufung von Naturkatastrophen in den letzten Jahren sind sich Versicherungsunternehmen allzu bewusst, wie der Klimawandel die Risikolandschaft verändert. Diese Dynamik wird sich in den kommenden Jahrzehnten noch verstärken, angetrieben von einem steigenden Problembewusstsein auf regulatorischer Seite, aber auch bei den Kunden. Gleichzeitig steigt das Innovationstempo.

Da die Folgen des Klimawandels immer stärker greifbar werden, prognostiziert KPMG Vorgaben seitens der Regulierungsbehörden für eine branchenweite Analyse und Auseinandersetzung mit den Risiken im Zusammenhang mit ökologischen, sozialen und ethischen Faktoren (ESG) sowie klimaspezifischen Risiken. Insbesondere Aspekte wie Stresstests und Szenarioanalysen, Kreditrisiken und Due Diligence-Prüfungen dürften aufsichtsrechtlich relevant werden. 

„Junge Fachkräfte geben sich nicht mit veralteter Infrastruktur zufrieden. Sie wollen die Chance haben, in einem neuen und innovativen Umfeld zu arbeiten.“ Jay Rabinowitz, Vice President of Financial Services and Insurance, Workday

Die Tatsache, dass klimabezogene Risiken laut einer aktuellen EY-Umfrage unter Chief Risk Officers im Versicherungswesen höchste Priorität genießen, spricht Bände. Die Gefahren des Klimawandels, die sowohl die Aktiva als auch die Passiva beeinflussen und langfristige Auswirkungen haben, sind besonders schwer zu modellieren. Diese Komplexität erfordert laut EY innovative neue Lösungen, die „effiziente Risikokapital-, Risikotransfer- und Risikosyndizierungsstrategien“ umfassen, sodass es möglich sein wird, einerseits den Versicherungsschutz auszuweiten und andererseits die Risikostreuung zu erhöhen. Die Versicherungsbranche reagiert in der Tat innovativ und stellt neue Management-Konzepte für Klimarisiken vor, etwa Partnerschaften zwischen öffentlichem und privatem Sektor und neue Versicherungsprodukte.

Um mit den wechselnden regulatorischen Anforderungen im Bereich ökologische, soziale und ethische Unternehmensverantwortung (ESG) Schritt zu halten und intelligente Lösungen für neuartige Klimabedrohungen zu entwickeln, benötigen Versicherer eine robustes Datengerüst für sämtliche Vorgänge im Unternehmen. Genau das bieten cloudnative Plattformen – zusammen mit fortschrittlichen Analysen, Reporting-Funktionen und Prognosetools, die die Entwicklung zukunftsorientierter Strategien unterstützen.

„Wir beobachten, dass sich der Markt derzeit in einem Tempo verändert, mit dem man kaum Schritt halten kann. Eine technologische Basis zur Unterstützung der Unternehmensziele ist deshalb unerlässlich, um schnell reagieren zu können“, betont Zager. 

Mehr dazu, wie Workday Versicherungsunternehmen bei der digitalen Transformation unterstützt, erfahren Sie auf unserer Website

Weiteres Lesematerial