HR hat ein Datenproblem. Aber nicht das, was Sie denken.

Die HR-Abteilungen deutscher Unternehmen können auf ein gewaltiges Datenarchiv zugreifen. Anwesenheitszeiten, Fluktuationsraten, Engagement-Scores, Lernfortschritte, interne Wechsel: Die Informationen sind da, wurden oft bis ins Detail erfasst und über Jahre hinweg systematisch gesammelt.

Das Potenzial dieser Daten bleibt jedoch gerade in der DACH-Region ungenutzt. Nicht, weil es an modernen Tools mangelt. Die technologische Infrastruktur ist vorhanden, von ausgereiften HRIS-Systemen bis zu komplexen Analyseplattformen. Die eigentlichen Hindernisse sind weniger sichtbar. Das erste ist ein kulturelles: Viele Führungskräfte auch im HR-Bereich sind noch nicht bereit, ihre Daten auch wirklich in die Hand zu nehmen und systematisch mit People Analytics in ihre Entscheidungsfindung zu integrieren. Das zweite Hindernis ist, dass viele nicht wissen, welchen Zweck die Datenanalysen überhaupt haben sollen.

Genau das ist jedoch der Kern von People Analytics: HR-Daten und Auswertungen systematisch so einzusetzen, um bessere Entscheidungen über Menschen in einem Unternehmen zu treffen. People Analytics ermöglicht eine strategische Personalplanung für eine Zukunft voller Herausforderungen in Technologie, Skill-Entwicklung, Recruiting und Mitarbeiterbindung. Datengestützte Analytics ist klar ein großer HR-Trend 2025: Kompetenzen in People Analytics und Big Data haben massiv an Bedeutung gewonnen, mit einem Zuwachs von rund 30 Prozent in kürzester Zeit. Das zeigt die aktuelle PwC-Studie People Management 2025, die 130 HR-Führungskräfte überwiegend aus mittelständischen Unternehmen befragt hat.

People Analytics ist dabei nicht einfach ein neues Dashboard mit bunten Grafiken. Der Herangehensweise liegt ein anderes Verständnis davon zugrunde, wie Entscheidungen überhaupt entstehen und getroffen werden. Wenn in einer Abteilung die Fluktuation steigt, liefert das Dashboard nur die Zahl. Gute Entscheidungsfindung geht weiter: Sie fragt, warum etwas passiert, welche Muster dahinterstecken und welche Schritte jetzt sinnvoll sind. People Analytics sucht nach den Ursachen, erkennt Zusammenhänge und setzt gezielte Maßnahmen um. Und zwar, noch bevor das Problem größer wird. So werden Daten nicht nur schön abgebildet. Sie verlassen den Bildschirm und werden in Handlungen übersetzt.

Die deutsche Realität: Vertrauen vor Erkenntnis

In der DACH-Region folgt der Umgang mit Personaldaten eigenen Regeln und Konventionen. Unternehmen sammeln nicht einfach mal so Bewegungen, Vorlieben oder Kommunikationsmuster. Sie müssen sich das Vertrauen ihrer Beschäftigten dazu erst erarbeiten und sich damit das Recht verdienen, diese Daten sinnvoll zu nutzen.

Die Gesetzeslage ist eindeutig: Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) setzt klare Grenzen, Betriebsräte wachen über die Einhaltung. Dazu kommt eine tiefe kulturelle Prägung, ein Bewusstsein, das weit über juristische Anforderungen hinausgeht. Gerade im deutschsprachigen Raum ist das Misstrauen, aus Datenerhebung könnte Überwachung werden, sehr ausgeprägt. Kontrolle durch permanente Beobachtung ist hier eben kein abstraktes Szenario, sondern mit der historischen Erfahrung tief im kollektiven Gedächtnis verhaftet. Eine Befragung der Friedrich Naumann Stiftung ergab, dass 80 Prozent der Interviewten in Deutschland der Datenschutz wichtig bis sehr wichtig ist.

Vertrauen ist die Grundlage für jede nachhaltige Nutzung von Daten.

Die feinen Antennen für den angemessenen Umgang mit Daten wirken auf den ersten Blick hemmend. Doch bei genauerem Hinsehen ermöglichen sie es, die Dinge neu zu denken, und zwar bewusst mit Fingerspitzengefühl: Bei Datenanalysen geht nicht nur um die präzise Anwendung von Methoden, sondern auch darum, einen ethischen, technologischen und integrativen Rahmen zu schaffen, in dem Menschen und Organisationen gleichermaßen profitieren können.

Dazu gehört, Transparenz zu schaffen: Ergebnisse und Vorgehensweisen müssen nachvollziehbar sein. Nicht nur für Experten, sondern auch für alle Betroffenen. Ebenso wichtig ist es, Menschen einzubinden: Wer frühzeitig beteiligt wird, fühlt sich ernstgenommen und kann aktiv mitgestalten. Aus dieser Offenheit heraus kann Vertrauen wachsen, und Vertrauen ist die Grundlage für jede nachhaltige Nutzung von Daten.

So entstehen Analysen, die fachlich präzise sind und zugleich gesellschaftlich Bestand haben. Daraus wächst Akzeptanz. Mit ihr entsteht die Chance auf Erkenntnisse, die echte, faire Veränderungen anstoßen. Sie stehen dann im Einklang mit den Werten des deutschen Mittelstands und mit dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Sicherheit im Umgang mit Daten.

Neu denken, wofür People Analytics da ist

Viele Unternehmen wenden People Analytics defensiv an. Sie lassen Modelle errechnen, um Kündigungen vorherzusagen, kreieren Listen mit Hoch- und Minderleistern und erstellen Kostenanalysen. Diese Perspektive greift zu kurz.

Die entscheidenden Fragen lauten vielmehr:

  • Welche Fähigkeiten entstehen gerade in unserer Belegschaft, und welche nutzen wir noch nicht optimal?
  • Welche Teams entwickeln besondere Resilienz oder Kreativität, und was sind die unsichtbaren Mechanismen dahinter?
  • Wohin möchten sich unsere Mitarbeitenden entwickeln, und wie können wir diesen Weg aktiv gestalten?

People Analytics kann viel mehr als Kündigungen voraussagen. Mit seiner Hilfe kann HR im Zusammenspiel mit der Unternehmensführung die Arbeitskultur so formen, dass Menschen gerne bleiben, wachsen und ihre Potenziale entfalten. Dafür müssen Führungskräfte allerdings radikal umdenken: weg von der reinen Risikoabwehr, hin zur aktiven Gestaltung. Dann wird die People-Analytics-Strategie laut Deloitte-Analyse „zur Grundlage einer Data Driven Organisation“.

Die typischen Stolperfallen

Die meisten Unternehmen starten mit Enthusiasmus in People Analytics und bleiben dann stecken. Die Stolperfallen sind zahlreich, wie beispielsweise Swiss HR Analytics herausgearbeitet hat. Drei Muster sind besonders verbreitet:

Zu viele Daten, zu wenig Erkenntnis
Viele Unternehmen starten Projekte ohne genaue Vorstellung, welche Personalentscheidungen durch Analytics eigentlich besser getroffen werden sollen. Es braucht konkrete Fragestellungen und Return-on-Investment-Überlegungen. Stattdessen werden unzählige KPIs erhoben, ohne dass klar ist, welche Hypothese dahintersteht. Statt gezielter Fragen entstehen Datensilos, die mehr verwirren als erhellen.

Tools kaufen, ohne die dazugehörigen Fähigkeiten zu schulen
Eine neue Plattform verspricht schnelle Antworten, doch ohne analytische Kompetenz im HR-Team ist sie nutzlos. An den entsprechenden Skills fehlt es laut vor allem in kleinen Betrieben, wie das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln herausgefunden hat. Die Ergebnisse und das Potenzial bleiben dann begrenzt.

Kosten optimieren statt Potenzial heben
Viele Analysen konzentrieren sich auf Effizienz, nicht auf Entwicklung. Unternehmen wollen häufig Einsparpotenziale identifizieren, statt Wachstumschancen zu sehen. Wer People Analytics ausschließlich nutzt, um Leistung zu überwachen, aber nicht, um Potenziale zu verstehen, verfehlt den Kern des Ansatzes.

Wie es richtig geht: Die neue Rolle von HR

Ein reifes People-Analytics-Setup sieht so aus: HR lässt die Rolle als passive Verwaltungseinheit für die Menschen im Unternehmen hinter sich. Das Personalmanagement wird zum strategischen Partner, der mit präzisen, kontextualisierten Einsichten den Entscheidungen auf der Führungsebene zuarbeitet.

Mehr als jeder vierte Arbeitnehmer kann sich in Deutschland nicht mehr vorstellen, für ein Unternehmen zu arbeiten, das keine Nachhaltigkeitsziele hat.

Diese Reife zeigt sich dann, wenn People Analytics nicht einfach zu isolierten Reports für die Schublade führt, sondern in Echtzeit in Workflows eingebettet ist. Das bedeutet: Erkenntnisse fließen in die Gestaltung von Projekten, Teamzusammenstellungen und individuellen Weiterbildungspfaden ein.

Die wirkungsvollsten Anwendungsfälle sind greifbar und messbar:

  • Interne Mobilität auf Basis echter Skill-Daten abbilden, um ungenutzte Talente freizusetzen: Mitarbeitende können Fähigkeiten und Erfahrungen mitbringen, die in ihrer aktuellen Rolle gar nicht sichtbar werden. Wenn Human Resources Skill-Daten systematisch erfasst und analysiert – also die tatsächlichen Kompetenzen, Projekterfahrungen und Lernfortschritte erhebt –, entsteht ein transparentes Bild darüber, welche Potenziale im Unternehmen vorhanden sind. Auf dieser Grundlage lassen sich interne Mobilitätspfade entwickeln: Mitarbeitende können gezielt auf offene Stellen, Projekte oder Weiterbildungsprogramme aufmerksam gemacht werden, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Gleichzeitig profitieren Führungskräfte von einer besseren Übersicht, welche Talente sie intern einsetzen können, anstatt extern rekrutieren zu müssen.
  • Inklusivere Recruiting-Prozesse entwerfen, die strukturelle Barrieren abbauen: Datenanalysen können beispielsweise zeigen, an welchen Stellen im Bewerbungsprozess bestimmte Gruppen systematisch benachteiligt werden, sei es durch die Wortwahl in Stellenausschreibungen, durch einseitige Suchstrategien oder durch unbewusste Bias im Auswahlverfahren. Auf Basis dieser Erkenntnisse können Unternehmen ihre Prozesse gezielt anpassen: Stellenanzeigen diversitätssensibel formulieren, Algorithmen für die Vorauswahl auf Fairness prüfen, und Auswahlkriterien klarer und objektiver definieren.
  • Muster von Überlastung frühzeitig erkennen, bevor sie zu Burnout und Kündigung führen: Die Analyse von Arbeitszeitdaten, Projektzuordnungen, Meetingdichte oder Feedback-Mustern offenbart Hinweise auf wachsende Belastung. HR kann dann frühzeitig gezielt gegensteuern, etwa indem es Ressourcen anpasst, Tasks transparent priorisiert oder individuelle Unterstützung anbietet. Das Ergebnis: ein präventives System, das Leistung ermöglicht, ohne Menschen zu überlasten, und damit langfristig Engagement und Bindung stärkt.

Schon in diesen wenigen Anwendungsfällen zeigt sich, dass People Analytics nicht nur ein Diagnose-Instrument ist, sondern ein Werkzeug, um die Zukunft der Arbeit zu gestalten.

Warum jetzt: Die Kosten des Wartens steigen

Der deutsche Arbeitsmarkt steht unter Druck. Der Fachkräftemangel hat sich strukturell festgesetzt. Dazu kommt, dass sich Anforderungsprofile an Mitarbeiter in nahezu allen Branchen stark wandeln, denn die technologischen Entwicklungen machen keine Pause. „Spätestens in zwei bis drei Jahren müssen Management und Mitarbeiter grundlegend neue Fähigkeiten und Kompetenzen beherrschen“, heißt es dazu in der PWC-Studie zu People Management aus dem Jahr 2025.

Gleichzeitig sind auch die Erwartungen der Beschäftigten im Umbruch. Mitarbeiter fordern von den Unternehmen, in denen sie arbeiten, mehr Transparenz, individuellere Entwicklungsmöglichkeiten und eine klare Haltung zu Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität und Work-Life-Balance. Mehr als jeder vierte Arbeitnehmer kann sich in Deutschland nicht mehr vorstellen, für ein Unternehmen zu arbeiten, das keine Nachhaltigkeitsziele hat; bei den Führungskräften sind es sogar 35 Prozent, wie das Marktforschungsinstitut HEUTE und MORGEN 2023 eruierte.

Wer angesichts dieser neuen Werte und der Verschiebungen im Skill-Bereich keine präzisen, datengestützten Einsichten über seine Belegschaft hat, führt ganze Abteilungen und letztlich das Unternehmen praktisch im Blindflug. Jede verpasste Chance, die Fähigkeiten der vorhandenen Mitarbeiter zu erkennen und zu entwickeln, wirkt sich direkt auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft aus.

Richtig angewendet, kann People Analytics unter Führung von HR für Unternehmen zu einem strategischen Vorteil werden, der weit über Personalgewinnung hinausgeht: Es stärkt die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen, fördert ihre individuelle Performance und führt dazu, dass sie sich mit ihrem Arbeitgeber stärker identifizieren. Die Belegschaft bleibt und nutzt den zur Verfügung gestellten, offenen Raum, sich zu entwickeln.

Zahlen können menschlich sein

Deutschland hat, was seine Arbeitskultur angeht, eine lange Tradition in Präzision und Verantwortung. Was in der industriellen Fertigung und im technologischen Bereich gewachsen ist, prägt auch den Umgang mit Daten. Diese Haltung macht People Analytics im DACH-Raum zu etwas Besonderem: einer Praxis, die, wenn sie wirklich funktionieren soll, auf Ethik und Vertrauen gegründet werden muss.

Gerade das Personalmanagement hat hier eine Schlüsselrolle inne. People Analytics bedeutet nicht bloß, Datenpunkte auszuwerten. Es heißt, Menschen wirklich zu verstehen. Es geht darum, ihnen zuzuhören, zu erkennen, was sie antreibt, welches Arbeitsumfeld sie stärkt und unter welchen Bedingungen sie ihre Fähigkeiten und Talente anwenden und entwickeln können. Und es geht darum, dass Unternehmen lernen, diese Bedingungen systematisch zu schaffen.

Darin zeichnet sich der Anfang einer neuen HR-Ära in Deutschland ab, einer, die Technologie mit Verantwortung verbindet und damit den Weg für zukunftsfähige Arbeit ebnet.

 

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