Gleichzeitig wächst die Kluft zwischen Potenzial und Realität. Während PwC und McKinsey Produktivitätsgewinne von bis zu 16 % prognostizieren, stagniert die Nachfrage nach KI-Spezialistinnen und -Spezialisten in Deutschland seit Jahren. Unternehmen zögern, investieren zu wenig in Weiterbildung und verlagern die Verantwortung auf den späteren Zeitpunkt. Die Folge: Ein „War for Talent“, der nicht über Recruiting, sondern über internes Upskilling entschieden wird.
Substitution und Augmentierung – die zwei Gesichter der KI
Die Effekte von KI lassen sich nicht auf ein eindimensionales Bild reduzieren. Zwei Mechanismen wirken gleichzeitig – mit gegensätzlichen Konsequenzen.
Der Substitutionseffekt: Aufgaben verschwinden. Berufseinsteiger, die früher durch das Abarbeiten von Standardtätigkeiten Erfahrungen sammelten, finden sich in einer Welt wieder, in der genau diese Tätigkeiten automatisiert sind. Die Gefahr: Junge Talente verlieren die Möglichkeit, grundlegende Fähigkeiten überhaupt zu entwickeln. Der Vergleich mit Pilotinnen und Piloten, die durch zu starke Abhängigkeit von Autopiloten ihre manuellen Fähigkeiten verlernen, verdeutlicht die Tragweite.
Der Augmentierungseffekt: Aufgaben werden aufgewertet. KI ergänzt menschliche Arbeit, steigert Geschwindigkeit und Präzision und verschiebt die Tätigkeit hin zu komplexeren, kreativen, zwischenmenschlichen Aspekten. Studien belegen: In Berufen, in denen KI als Unterstützung wirkt – etwa in der Pflege oder im Projektmanagement – bleibt die Beschäftigung stabil oder steigt.
Zwischen beiden Polen entscheidet sich die Zukunft der Einstiegsjobs. Doch wenn die unterste Stufe der Karriereleiter verschwindet, droht langfristig auch ein Mangel an Senior-Mitarbeitenden – schließlich wächst keine Generation von erfahrenen Kräften nach. Die eigentliche Frage lautet daher: Wie können Arbeitsmärkte so gestaltet werden, dass Augmentierung dominiert, Substitution nicht zur Sackgasse wird und Unternehmen neue Wege finden, Lern- und Erfahrungsräume für Nachwuchstalente zu schaffen?
Die Frage ist daher nicht nur, wie viele Jobs entstehen oder verschwinden. Es geht darum, ob die Arbeitswelt noch Mechanismen bereitstellt, die Menschen den Aufstieg ermöglichen – und wie Organisationen diese Mechanismen neu erfinden können.
Die Kehrseite der Disruption ist das Entstehen neuer Chancen. Capgemini zeigt, dass über die Hälfte der Führungskräfte erwartet, dass KI die Karrieren junger Menschen beschleunigen wird.
Wo früher jahrelange Routinearbeit nötig war, können Berufseinsteiger heute schneller Verantwortung übernehmen. KPMG und Microsoft berichten, dass Junior-Mitarbeitende durch KI-Unterstützung schon früh komplexe Aufgaben wie Risikobewertungen oder Projektmanagement übernehmen.